Es war heiß an diesem Nachmittag. So heiß, dass sich die Katzen alle verkrochen haben, irgendwo im Schatten. Die drei Tavernen am Dorfplatz haben um diese Zeit geschlossen, nur die Zaxaroplasteio Paradosi, die Konditorei an der Nordecke des langgezogenen Platzes, ist offen. Zeit für eine Kaffeepause!
Es ist mein erster Urlaub, in dem ich wieder Single bin. Anfangs fühlt es sich noch etwas ungewohnt an und insgeheim fürchte ich die indiskrete Frage nach meinem Beziehungsstatus. Ich bin das von meinen deutschen Landsleuten gewohnt, dass sie die unmöglichsten Fragen stellen: Was, ihr seid verheiratet? Bei dem Altersunterschied? Habt Ihr keine Kinder? Aber Ihr wollt schon welche, oder? Fragen, wie ich sie nicht stellen würde. Jetzt heißt die Hauptfrage natürlich: Was, Du verreist alleine? Wieso bist Du Single?
Platani liegt zwischen Kos-Stadt und dem Asklepieion, dem Heiligtum des Asklepios und im Altertum Sanatorium, Ärzteschule und medizinisches Zentrum. Hippokrates hat hier gelernt, gelehrt und gewirkt. Das Asklepieion von Kos liegt auf einem von Zypressen bewaldeten Hügel, knapp 100 m über dem Meeresspiegel. Es wurde 1901 nach Hinweisen des von Kos stammenden Historikers Iakovos Zaraftis von dem deutschen Archäologen Rudolf Herzog entdeckt und freigelegt. Es beeindruckt alleine schon durch seine pure Größe. Wie diese Stätte einmal ausgesehen haben muss, lässt sich erahnen.

Aber auch Platani hat seine Geschichte. Das große Dorf ist der einzige Ort auf Kos, in dem noch heute eine Vielzahl türkischstämmiger Familien beheimatet ist, die friedlich mit den christlichen Griechen zusammenleben. Auch, wenn ein großer Teil der Bewohner inzwischen griechische Pässe besitzt, sind das türkische Flair, die Kultur, die Küche und die Sprache in Platani nicht zu übersehen. Hier steht auch die einzige verbliebene Moschee, in der noch jede Woche zum Freitagsgebet gerufen wird und auch einen muslimischen Friedhof gibt es hier. Auf den alten Grabsteinen sieht man Turbane und arabische Schriftzeichen. Ebenfalls unübersehbar sind die drei türkischen Tavernen: Arap, Ali und Serif. Hier verschmelzen griechische und türkische Küche.
Ich finde unschwer einen Platz unter der Pergola der Konditorei, nicht ohne mir vorher ein Stück Kuchen ausgesucht zu haben. Dazu gibt es einen Cappuccino freddo, die eiskalte Variante des italienischen Klassikers. An einem der anderen Tische sitzen drei Kinder und leiden unter der Hitze und den Hausaufgaben. Ein Blumentopf verkündet: Love the life you live, live the live you love!

Dann bringt mir die Bedienung Kaffee und den Kuchen, den ich mir vorher ausgesucht hatte, an den Tisch und beginnt ein zwangloses Gespräch. Woher ich komme, in welchem Hotel ich bin, wie lange ich auf der Insel bleiben werde und so weiter. Die von mir befürchtete Frage nach meinem Beziehungsstand aber bleibt aus. Dabei verraten ihre Fragen ein echtes Interesse. Ja, das können sie, die Griechinnen und Griechen. Sie fragen dich aus, um etwas über dich zu erfahren, weil sie sich wirklich für dich interessieren, aber sie treten dir nie zu nahe, stellen keine Fragen, die du für zu intim empfinden könntest. Ich atme auf. Ich fühle mich wohl und irgendwie angekommen und vor allem willkommen auf der Insel.
Welches der drei Restaurants sie mir empfehlen würde, frage ich sie. An ihrer Antwort erkenne ich, dass sie nie etwas negatives über einen ihrer Nachbarn sagen würde und es deshalb schwer ist, jetzt eines zu bevorzugen. Ich muss also selbst entscheiden, als ich zwei Tage später für ein Abendessen nach Platani zurückkehre. Und ich entscheide mich für Arab, weil mir die Terrasse am gemütlichsten und die Karte am vielversprechendsten erscheinen. Ich gönne mir sogar eine Vorspeise – Kolokithokeftedes, Zucchinipuffer, die fast unverschämt lecker sind – und bestelle mir dann Kavurma, eine pikante türkische Fleischpfanne mit Paprika, Tomaten und Reis.

Doch zurück zu meinem griechischen Kaffee-Moment, den ich auf der Terrasse einer griechisch-türkischen Konditorei erleben durfte, zurück zu meinem Stück Torte, meinem Cappuccino freddo und meiner freundlichen Bedienung. Und zurück zu unserer Unterhaltung, wie man sie auch noch in ländlichen Gegenden Bayerns erleben darf. Man möchte wissen, wen man da als Gast hat und dabei ein wenig plaudern. Viel Kundschaft ist ja gerade nicht da, auch wenn die Kundschaft aus allen Ecken der Insel hierher fährt um einzukaufen. Der Ruf der Konditorei ist inselweit gut – und sogar bis über die Insel hinaus.
So, der Kuchen ist aufgegessen, der Cappuccino freddo ausgetrunken und ich habe bezahlt. Bevor ich aufbreche nehme ich noch einen tiefen Atemzug von der würzigen Luft. Ja, ich bin angekommen in meinem Urlaub und auf der Insel. Jetzt schwinge ich mich wieder auf meinen Roller und weiteren Abenteuern entgegen. Und natürlich vielen griechischen Kaffee-Momenten.

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Ja, gerne. Lass uns gemeinsam einen griechischen Kaffee-Moment erleben! Wenn Euch mein Beitrag gefallen hat freue ich mich über Eure Unterstützung.
1,70 €
Wie schön und bildhaft beschrieben. Indiskrete Fragen kann ich so gar nicht leiden, und leider kommen sie sehr oft. Mit der „guten“ Intention, dem „fehlgeleiteten“ Menschen dann noch ein paar Ratschläge mit auf den Weg geben zu müssen. Da lobe ich mir die Griechen 😉
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Genau so geht es mir. Wie man sieht geht es dezenter auch…
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Angenehme Konversation zu machen, Interesse zu zeigen, ohne aufdringlich oder taktlos zu sein wird wohl mehr und mehr zu einer Kunst, die nur noch wenige beherrschen. – Schön, dass Du mal wieder Deiner Urlaubserinnerungen tauscht.
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Sehr gerne!
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Eine schöne Geschichte, gerade wenn man allein reist, ist es so wichtig, sich willkommen zu fühlen.
In der Bar oder im Kaffeehaus nach dem Restaurant für den Abend zu fragen, ist auch eine beliebte Taktik meines Mannes. Dann kommt es auf das Feeling an, ob uns der Tipp überzeugt. Sonst gibt es ja (heutzutage) auch das Internet und Rezensionen für einen kurzen Gegencheck.
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Ich frage die Leute gerne, wo sie selber hingehen würden. Diese Frage lässt sich oft einfacher beantworten, als die nach einer Empfehlung. Das Internet brauche ich dann nicht mehr dazu. Reingefallen bin ich dabei noch nie…
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Genau, so meinte ich das auch. Aber manchmal stellt sich heraus, dass deren persönliche Vorlieben nicht zu unseren passen. Ist aber selten!
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In diesem Ort aber war das narrensicher. Schließlich gab es nur drei türkisch-griechische Tavernen. Die Gefahr, dass sie mir eine Sushi-Bar empfohlen hätte, ging gegen null.
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Die Torte sieht umwerfend verführerisch und delikat aus…
Bei aufdringlichen und indiskreten Fragen kann es schon mal passieren, dass ich mich einfach umdrehe und gehe – ich ertrage so was überhaupt nicht. Die gelassenen und stets gewisse Grenzen respektierenden Unterhaltungen im bayerischen Oberland finde ich auch sehr wohltuend.
Liebe Grüße!
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Ich weiß genau was Du meinst. Diese Balance zwischen ehrlichem Interesse und aufdringlicher Neugierde. Leider beherrschen das nur wenige…
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Da hast du uns wieder einmal sehr anschaulich die griechische Lebensart und die Atmosphäre vor Ort vermittelt. Ganz so, als hätte ich mit bei dir am Tisch gesessen – natürlich ohne dich indiskret auszufragen 😎.
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Das ist halt der große Unterschied zwischen echtem Interesse und Schubladendenken. Ich habe mich jedenfalls sehr wohl gefühlt…
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