Mostar: Brücke zwischen Orient und Okzident

Die Welt hielt kurz den Atem an, als am neunten November 1993 wahrscheinlich kroatische Artillerie Stück für Stück die Stari Most, die alte Brücke in Mostar, zerschießt. Unter dem Jubel der einen Seite fiel das Bauwerk schließlich in sich zusammen, während die andere Seite aufschrie. Die erschütternden Amateuraufnahmen, die die Zerstörung der Brücke belegen, wurden 20 Jahre später zu Beweismitteln in einem Kriegsverbrecherprozess. Auch, wenn die Brücke wieder aufgebaut wurde, kann sie die Bresche, die ihre Vernichtung in die Bosnische Gesellschaft geschlagen hat, nicht überbrücken.

Zugegeben, das Bild wurde schon häufig bemüht, die Brücke zwischen Orient und Okzident. Und trotzdem steckt mehr dahinter, als nur ein Gemeinplatz – viel mehr. Doch, was die Brücke in Mostar in Wahrheit bedeutet, wurde vielen erst nach ihrer Zerstörung klar. Aber sie steht auch für ein Trugbild: die friedliche und harmonische Verbindung zwischen den Kulturkreisen hat es nie gegeben. Und die Konflikte, die zu ihrer Zerstörung führten, waren bedeutend vielschichtiger als nur der Zwist zwischen drei Ethnien.

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Heute ist die Brücke wieder Touristenmagnet und die durch sie verbundenen Teile der Altstadt ein einziger Bazar. Dabei dürften die engen Gassen und kleinen Plätze jetzt wieder so belebt sein wie einst, als Karawanen und Händler die Brücke passierten. Nur heute haben sich die Händler niedergelassen und die Karawanen wurden durch Touristen abgelöst. Und damals wie heute haben die Leute ihre Schwierigkeiten die steilen, glatten Steine zu erklimmen – und wieder hinunter zu schlittern.

Trotz des Touristenrummels gibt es mitten im Tumult ideale Plätze um Ćevapi zu essen, Sarajevska Pivo, Cockta zu trinken – kein Tippfehler, sondern eine leckere Balkankola aus Hagebutte – oder sich Zeit für eine Tasse Kaffee zu nehmen, der hier neutral als „turska kafa“, als türkischer Kaffee angeboten wird. Tatsächlich gibt es hier den teuersten „bosnischen Kaffee“ in Bosnien – und das Wasser muss man sich extra kaufen, allerdings bleibt einem in dieser Stadt der heißen Steine keine andere Wahl, als Flüssigkeit zuzuführen. So gestärkt kann man sich wieder auf in eine verwinkelte Altstadt machen und die romantischsten Ecken und Restaurants entdecken.

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Oder man kann den Brückenspringern zusehen, die sich mehrmals täglich die knapp 30 Meter in die Tiefe stürzen – wenn genug Geld für einen Sprung zusammen gekommen ist. Für 20 Euro riskieren die Springer Kopf und Kragen. Manchmal legen sie eine kurze Gedenkminute ein, für die verunglückten Kollegen – und die, die bei der Verteidigung „ihrer“ Brücke ihr Leben gelassen haben. Denn darüber kann der bunte Trubel auf, unter und rund um die Brücke nicht hinwegtäuschen: die Kluft zwischen Orient und Okzident ist tief – unüberbrückbar tief!

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