Als wäre das Kloster Panagia Spiliani nicht schon besonders genug, ranken sich um diesen mystischen Ort auch zahlreiche Mythen und Legenden. Deren Ursprung liegt schon im Namen, denn Spilia bedeutet Höhle und Höhlen waren im vorantiken Griechenland schon oft Orte religiöser Kulte. So wundert es nicht, dass diese Höhle, an deren Ende eine Quelle entspringt, deren Wasser Heilkräfte zugeschrieben werden, schon seit Jahrtausenden als Ort besonderer spiritueller Kraft angesehen wird.

Deutlich wie wichtig Höhlen bei der Entstehung religiöser Kulte im Mittelmeerraum Höhlen waren, kann man besonders auf Kreta erkennen, wo die beiden Anwärter auf den Titel „Geburtshöhle des Zeus“ gleichzeitig auch Ausgangs- und Entstehungspunkt der Götterverehrung wurden. Tatsächlich sind die ersten Tempel auch den Höhlen nachempfunden: der Tempel selbst symbolisiert die Höhle, die wiederum für das ewig Weibliche steht und die Tempelsäulen sind den zusammengewachsenen Stalagmiten und Stalaktiten nachempfunden. Auch sind Grotten nicht nur in der kultischen Verehrung verwurzelt, auch die Wahrsagung hat hier ihren Ursprung.

So soll in dieser Höhle auch die Samiotische oder Samische Sybille gewirkt haben. Die samische Sibylle war die Priesterin, die dem apollinischen Orakel in der Nähe von Heras Tempel auf der Insel Samos, einer griechischen Kolonie, vorstand. Das Wort Sibylle kommt vom altgriechischen Wort sibylla, was Prophetin bedeutet. Es gab viele Sibyllen in der Antike, aber sie ist diejenige, die die Geburt Jesu im Stall prophezeite. Die samische Sibylle mit dem Namen Phemonoe oder Phyto, von der griechische Mathematiker, Geograph und Philosoph Eratosthenes im 3. vorchristlichen Jahrhundert schrieb. Die Samische Sibylle ist eine der nach dem römischen Historiker Varro von Lactantius unterschiedenen zehn Sibyllen, die in der antiken Welt bekannt waren.

Das Lexikon der Suda, eine byzantinische Enzyklopädie aus dem 10. Jahrhundert, besagt, dass die erythräische Sibylle auch Samian genannt wurde. Pausanias, einer der ersten griechischen Reiseschriftsteller, bestätigt, dass die erythräische Sibylle den größten Teil ihres Lebens auf Samos verbracht hat. Die samische Sibylle war bekannt als Phyto, oder besser Foito, aus der griechischen Welt foitos, was das Wandern, insbesondere des Geistes, anzeigt. Moderne Forscher der Insel Samos gehen davon aus, dass ihr Haus genau hier in der Höhle des Klosters Panagia Spiliani stand, die wahrscheinlich auch die Höhle des Pythagoras ist, nach dem Zeugnis des neuplatonischen Philosophen Porphyr. Denn, wie könnte es anders sein, auch für die Höhle, in der der Mathematiker und Philosoph einst als Einsiedler lebte, gibt es mehrere Anwärter. Doch auch so sind die Geschichte der Sybille und die von Pythagoras eng verbunden, soll sie ihm doch damals geweissagt haben, er würde in Süditalien eine neue Heimat finden und von dort aus eine intellektuelle Revolution auslösen. Wie es dann ja auch passierte.

Doch es gibt noch mehr über die Grotte zu erzählen. Mittlerweile ist hier natürlich kein Naturheiligtum mehr, sondern eine christliche Kirche. Die Kapelle ist direkt in die Höhle hineingebaut. Sie beherbergt eine Ikone, die der Panagia Spiliani, der Jungfrau Maria der Grotte, die ihre ganz eigene Geschichte hat. So haben Piraten versucht die Ikone zu stehlen und mit dem Schiff wegzubringen. Das Schiff wurde vor der Küste von Ireon zu Stein verwandelt, die Ikone fiel ins Wasser wurde an den Strand gespült und sie wurde wieder zurück an ihren Platz gebracht. Das erklärt zumindest die vielen Beschädigungen an dem Bildnis. Und noch eine Besonderheit: die heilige Quelle hinter der Kapelle. Ihr werden seit Urzeiten Heilkräfte nachgesagt. Früher haben sich Seeleute vor der Abreise mit dem Wasser benetzt um so für eine sichere Heimkehr zu sorgen.

Am Eingang zur Grotte steht ein Altar. Dann geht es über ein – rutschige! – Treppe nach unten in den Bereich der Grotte, der eher breit und niedrig ist, als lang. Hier hängen an einer weiß gekalkten Wand zahlreiche Ikonen von verschiedenen Heiligen. Rechts geht es über einen Tunnel weiter in die Höhle hinein. Hier ist die Marien-Kapelle mit der Ikone und der Quelle. Es soll noch weitere Tunnel geben, aber die sind nicht für Besucher geeignet. Vielleicht haust ja hier noch die Sybille Phemonoe…

Quellen: Wikipedia, isamos.gr, Dumont Reisen, samosin.gr, Reisen Experten, Wikibrief.