Machen wir einen ganz großen Sprung von Vathi – ganz im Nordosten – nach Karlovasi – ganz im Nordwesten von Samos. Das geht auch ganz zügig über die gut ausgebaute Straße. Mein Plan: mal richtig Gas geben und die Sehenswürdigkeiten auf dem Rückweg abarbeiten. Das soll verhindern, dass ich in die Dunkelheit hineinkomme.

Und so bin ich mittags schon in der Hafenstadt Karlovasi, nach Vathi die zweitgrößte Stadt der Insel. Aufgrund von Ruinen und zahlreichen Gräbern wird angenommen, dass das Gebiet des heutigen Paleo Karlovasi wahrscheinlich schon zu antiker Zeit dicht besiedelt war und dass hier die antike Stadt Gorgyia mit einem Tempel zu Ehren des Dionisos Gorgyia lag. Schließlich sagt die Legende der Weingott selbst hätte die ersten Weinreben auf der Insel angepflanzt. Überreste einer Kirche und byzantinische Münzen, die bei einer provisorischen Ausgrabung entdeckt wurden, lassen darauf schließen, dass die Gegend auch in der byzantinischen Zeit bewohnt war.

Nach dem Fall von Konstantinopel 1453 erhob das Osmanische Reich Anspruch auf die genuesische Kolonie. In der Folgezeit verließen bis etwa 1470 die meisten Menschen die Insel Richtung Chios, das bis 1566 Kolonie Genuas war. Samos war die nächsten hundert Jahre nahezu unbewohnt. Wenige Familien lebten versteckt in den Bergen. Auslöser für die Wiederbesiedlung der Insel waren weitreichende Privilegien, die der Sultan dem Verwalter Kilic Ali Pascha gewährte.

An der Wiederbesiedlung von Samos in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren Nachfahren von Samioten, so genannte Chiosamii maßgeblich beteiligt. Im heutigen Zentrum von Paleo Karlovasi ließen sie sich bei dem kleinen Hügel Alonaki auf den Ruinen einer alten Siedlung nieder. Aber auch Menschen vom Peloponnes, Ikaria und von den Kykladen siedelten sich hier an. Erste schriftliche Erwähnungen belegen die Bezeichnung Karlovasi bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts.

Von den frühen Jahren der Wiederbesiedlung an spielte Karlovasi eine bedeutende historische Rolle auf Samos. Die Bewohner betrieben Landwirtschaft, vor allem Weinbau und gelangten durch den Handel zu Wohlstand, so dass im Jahre 1678 die Bürger Karlovasis zu den reichsten der Insel zählten. Karlovasi entwickelte sich zum wirtschaftlichen und finanziellen Zentrum, während Chora und später Samos wegen ihrer Nähe zu Kleinasien die administrative Zentren der Insel darstellten.

Im 20. Jahrhundert begann der Niedergang der Hafenstadt. Erst vernichtete die Reblauskatastrophe fast den gesamten Weinanbau, in den 30er Jahren kam die Gerberei-Industrie zum Erliegen, viele Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg und im darauf folgenden Griechischen Bürgerkrieg zerstört. Nach dem Krieg kam das wirtschaftliche Leben in Karlovasi, wie auf der ganzen Insel zum Erliegen. Anstrengungen den Tourismus in der Stadt und der Umgebung anzusiedeln, blieben bisher ohne großen Erfolg. Lediglich in Limena Karlovasiou befinden sich zahlreiche Urlaubshotels von Reiseveranstaltern.

Ich mache in Karlovasi angekommen erst einmal im Stadtteil Limani einen Spaziergang durch die kurze Hafenpromenade. Natürlich geht es hier recht touristisch zu, obwohl der kleine Hafen als wichtiger Transferpunkt für Menschen und Waren seinen geschäftigen Charakter behalten hat. Ein Blick nach oben zeigt die historische Altstadt Paleo Karlovasi, weshalb man die moderne Hafenstadt auch Neo Karlovasi nennt.

Eigentlich wollte ich hier auch die älteste byzantinische Kirche der Insel Panagia Tou Potamiou Metamorfosis besichtigen. Von dort sollte mich ein Weg zu den Ruinen einer byzantinischen Festung führen. Doch die Kirche wird gerade renoviert. Dafür wurde ein Teil des Hangs abgetragen, an der sich der Anfang des Weges zu Festung befand. So war beides für mich unerreichbar. Nur ein Grund mehr wieder einmal nach Samos zu kommen!

Allerdings sehe ich von der Straße aus eine weitere Ruine, wohl eine Kirche aus byzantinischer Zeit. Auch hier ist Baustelle, allerdings ohne Arbeiter, weshalb ich die Absperrung überklettere und eine kleine Privatführung durch die Ruine mache. Viel ist nicht mehr zu sehen. Trotzdem lässt sich die frühere Bedeutung dieses Ortes erahnen. Es ist Zeit sich langsam an den Rückweg zu machen. Doch morgen schauen wir erst noch in Paleo Karlovasi vorbei.