Vom lauten und teuren Mykonos ging es also mit der Fähre auf die Nachbarinsel Tinos. Das stellte aber erstmal nur eine Verschlimmbesserung dar. Offenbar hatte man sich in Tinos Stadt darauf verständigt die gleichen überteuerten Preise zu verlangen, wie auf der reichen Nachbarinsel, ohne allerdings den dortigen Komfort zu bieten. Die erste Nacht verbrachten wir deshalb in meiner Erinnerung in einer Art Stall. Durch Ritzen in der Wand pfiff der Wind und man konnte das Licht der vorbeifahrenden Autos sehen.
Nun war es an mir Abhilfe zu schaffen. Ich lud die Familie am Strand ab, mietete mir einen Roller und machte mich auf die Suche nach einem Quartier. Die Kykladeninsel ist in ganzer Länge von Bergen durchzogen. Auf dem Felsmassiv Exobourgo (oder Exomvourgo) ist der Sitz des Windgottes Aiolos , auf deutsch Äol. Zumindest der Sage nach, aber dazu kommen wir noch. Auf der Insel gibt es etwa 50 Dörfer mit insgesamt rund 8.500 Einwohnern. Die Hauptstadt ist der Hafen im Süden der Insel, der alte Hafen lag allerdings im Nord-Osten und damit näher an der Nachbarinsel Andros.

Ich fuhr also mit dem Roller los. In Tinos-Stadt schienen mir die Chancen auf ein schönes, aber günstiges Quartier am geringsten, schließlich war das Ergebnis der gestrigen Suche die Übernachtung im Stall, also ging die Fahrt Richtung Nordwesten. Irgendwo müsste sich doch ein günstiges Hotel, eine Pension oder ein Privatquartier finden lassen. Allerdings vermisste ich jeglichen Hinweis, wie zum Beispiel Schilder mit der Aufschrift „Rooms to rent“ oder so. Die Gegend rund um Tinos-Stadt hatte ich schnell abgegrast. Gut, dann halt ans andere Ende der Insel.
Da musste ich allerdings an Äols Thron vorbei. Ich fuhr also mit durchgezogenem Gashebel durch eine steinige, karge Mondlandschaft entlang des Bergmassivs. Da blies der Windgott mal testweise von seinem Berg runter. Mit einem Satz war ich in der Straßenmitte. Gut, dass es so gut wie keinen Verkehr gab! Beim zweiten Mal blies Äol schon etwas heftiger und bei der Dritten Böe fuhr ich plötzlich ganz am linken Rand der Straße, neben dem es steil bergab ging bis zum Meer… Was nun? Aufgeben? Umdrehen? Augen zu und durch?

„He!“, rief ich, „Windgott, blas mich nicht in den Abgrund!“. Er schien das gehört zu haben. Er pustete zwar noch von Zeit zu Zeit und amüsierte sich wohl darüber, wie ich über die schmale Landstraße schlingerte, aber offenbar war ihm nur etwas langweilig und er wollte nur spielen. Doch, wie in vielen antiken Sagen, muss de Held, bevor er seine Belohnung erhält, erst die Prüfung bestehen. Am Ende der Windpassage hatte ich zwar Adrenalin bis in die Haarspitzen, ich war allerdings so ausgekühlt, dass meine Zähne klapperten. Auf einer Anhöhe sah ich – wie sinnig – eine Reihe von Windmühlen, dahinter, so mutmaßte ich, wäre ich in Sicherheit.
Der Blick, der mich vom Pass aus erwartete, entschädigte mich für alles. Hier, auf der Sonnenseite und im Windschatten, schlängelte sich die Straße gen Meer. Auf halber Höhe schmiegte sich eine weiße Stadt aus Marmor an den nunmehr sanft abfallenden Berg und schließlich mündete die Straße in eine Bucht mit einem natürlichen Hafen. Erst ließ ich mich von der kräftigen Sonne noch etwas wärmen, dann ging es in einem Rutsch – vorbei an Pyrgos, der Marmorstadt – nach Panormos am Meer. Am Meer angekommen macht die Straße einen scharfen Knick nach rechts in das kleine Hafendorf hinein. Dort, am ersten Haus, prangte das Messingschild der staatlichen Tourismusbehörde für Privatquartiere.

Panormos entpuppte sich als schönster Platz der Insel. Die Hausbesitzerin, eine Witwe, vermietete mir für 4.800 Drachmen ein Zimmer mit Balkon mit Blick aufs Meer, zu dem man nur über die Straße gehen musste, am anderen Ende des Hafens lag eine Taverne, in der die ganze Familie mitarbeitete, die wir noch kennenlerne würde und auf deren Terrasse der Pfarrer, der Polizist, der Postbote und der Schiffs-Taxi-Fahrer ihren Stammtisch hatten und das beste war, dass der letzte Bus zur Hauptstadt pünktlich um 17:00 Uhr sämtliche Tagesgäste aufsaugte und der Strand und das Meer somit mir gehörten. Das alles wusste ich aber noch nicht.
Was ich aber wusste: ich hatte gerade ein Zimmer gemietet. Neben dem Haus war ein Café-Imbiss mit Stühlen und Tischen am Hafenbecken. Den Zimmerschlüssel in der Hand trank ich erstmal einen griechischen Kaffee, rauchte eine Zigarette, blinzelte in die wärmende Sonne und plante die nächsten Schritte. Ich würde nach Tinos-Stadt zurückfahren, den Roller zurückgeben, die Familie einsammeln und in den Bus stopfen und mit ihr nach Panormos fahren. Dort werden wir dann einen wundervollen Urlaub verbringen.
Und der Windgott? Der blies mir natürlich kräftig entgegen. Schrecken konnte mich das nicht mehr. Ich wusste ja, was mich erwartete…
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