„Bosnischer Kaffee? Was soll das sein?“ Der Kellner des San Marino will mich nicht verstehen. Immerhin bekomme ich einen Espresso. Da ich zusätzlich noch ein Mineralwasser bestelle kriege ich als Einziger kein obligatorisches Wasserglas. Besonders beliebt bin ich hier nicht.
Das alte Stadtzentrum von Čapljina zeugt von verschwundener Pracht. Einzig das Rathaus, Sinnbild der administrativen Macht des Habsburgerreiches, ist renoviert. Daneben eine Altstadt mit heruntergekommenen Häusern aus der bosnischen Gründerzeit. Auf dem parkähnlichen Grünstreifen zwischen Altstadt und Hauptstraße ein Spielplatz und der Außenbereich des San Marino, Pizzeria, Restaurant und sozialer Mittelpunkt des Dorflebens – mit Blick auf eine komplett ausgebombte Häuserzeile. Auch jetzt noch, viele Jahre nach dem Krieg.
Der Männerüberschuss ist deutlich, hier im San Marino. Auf 24 Männer kommen gerade einmal zwei Frauen, Touristinnen, die sich hierher verlaufen haben. Cafés in diesem Teil der Stadt sind die Domäne der Männer, die meisten von ihnen sonnenbebrillt, überwiegend im Rentenalter. Sie sitzen hier bei einem Kaffee mit dem obligatorischen Glas Wasser zu zweit, zu viert, diskutieren, nippen kurz an ihren Getränken. Man kennt sich. Eile kennt man nicht. Die beiden Kellner haben auch nicht viel zu tun.
Čapljina ist eine Kleinstadt im südlichen Bosnien, nur Kilometer von der Grenze nach Kroatien entfernt. Früher nur Haltestelle, heute Endstation der Bahnlinie von Sarajevo über Mostar. Bis vor kurzem fuhr die Bahn weiter bis ins kroatische Ploče. Seit der Renovierung der Bahnstrecke ist in Čapljina Schluss.
Kroaten waren hier schon immer in der Mehrheit, schon zu der Zeit, als Bosnien k. u. k. Kronland war. 1878 beendeten die Österreicher hier die Osmanische Fremdherrschaft um sie durch eine eigene zu ersetzen. Ab 1918 gehörte Čapljina zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, dessen Name 1929 in Königreich Jugoslawien geändert wurde und bis 1941 bestand. Während des Bosnienkriegs wurde Čapljina ein Teil der Kroatische Republik Herceg-Bosna. Muslimische Einwohner wurden vertrieben, gefangen genommen oder umgebracht. Davon zeugt auch das in ganzen Land verbreitete War-Design in den Häuserfronten. Noch heute fühlt man sich hier eher kroatisch als Bosnisch. Kroaten stellen mit 78% die größte Volksgruppe.
Ansonsten ist Čapljina schnell erzählt: sechs katholische Kirchen, vier Moscheen, eine serbisch-orthodoxe Kirche und ein serbisch-orthodoxes Kloster, eine Postzentrale, ein Kaufhaus, eine Bahnstation, ein Busbahnhof und das bereits beschriebene Rathaus. Zwischen der derangierten Altstadt und dem Bahnhof die Plattenbauten der Ära Tito. Je weiter man sich vom Rathaus entfernt und je näher man dem Bahnhof kommt, desto höher der Frauenanteil in den Cafés und desto niedriger das Durchschnittsalter der Gäste.
Im Caffe Slastičarna Marlena bekomme ich zwar auch keinen bosanska Kava, also bosnischen Kaffee aber einen guten Bijela Kava, einen Milchkaffee aus acht Gramm Kaffee und zwei Dezilitern Milch. Man nimmt es hier sehr genau. Ansonsten sind die breiten Straßen zwischen den Neubauten fast leer gefegt. Ist auch heiß heute Mittag. Auf einer Infotafel lese ich noch etwas auf Englisch über die Geschichte des Ortes, „in the hinterland…“. So komme ich mir hier auch vor. In the hinterland of nirgendwo.