Der erste Versuch scheiterte letztes Jahr, diesmal ist man besser vorbereitet: es geht um die Anerkennung des Espresso-Ritus in die UNESCO-Liste der immateriellen Weltkulturerbe. Zur Unterstreichung des Anspruches auf Anerkennung zelebrierte Italien am 26. März – nur fünf Tage der offiziellen Abgabefrist – erstmals einen Welttag des Ritus des italienischen Espressokaffees. Espressokaffee gilt als italienischer Stolz, von Sizilien bis zu den Alpen. Doch in der Bewerbung geht es um mehr. Es geht nämlich auch um eine wichtige, soziale Komponente.

Und der soziale Aspekt ist für eine erfolgreiche Bewerbung unerlässlich. Nach den Regeln der UNESCO reicht es nicht, dass ein immaterielles Kulturerbe lediglich vorhanden ist, es muss von gesellschaftlicher Relevanz sein und das tägliche Miteinander prägen. Wie das gemeint ist, belegen die folgenden Beispiele.
Was der Espresso erst noch anstrebt, ist der Pizza napolentana schon gelungen – die Anerkennung als Weltkulturerbe! Schon die Herstellung sei ein Ritual: Pizzaiuoli würden sich dabei wie auf einer Bühne bewegen und Pizzabacken zelebrieren. Außerdem ist die Pizza ein wesentlicher Bestandteil der neapolitanischen Kultur und Identität. Immerhin soll es alleine in Neapel in 3.000 Pizzaiuoli geben. Damit hat die neapolitanische Pizza ihren festen Platz im Leben der Gesellschaft.

Auch die türkische Kaffeekultur hat es schon auf die Welterbe-Liste geschafft. Ausschlaggebend war, dass türkische Familien den gemeinschaftlichen Kaffee am Morgen als traditionellen – und damit zu bewahrenden – Schatz betrachten. In der Begründung heißt es: „Frisch geröstete Bohnen, das Aufbrühen des Kaffees in einer traditionellen Cezve und das abschließende Servieren und Teilen des Kaffees werden als schützenswerte Kultur angesehen. Die türkische Kaffeetradition symbolisiere Gastfreundschaft.“

Ein weiterer bereits erfolgreicher Bewerber aus der Welt des Kaffees: das Wiener Kaffeehaus. Diese Entscheidung erklärte die UNESCO im November 2011 so: „Die Tradition der Wiener Kaffeehauskultur ist durch eine ganz spezielle Atmosphäre geprägt. Typisch für ein Wiener Kaffeehaus sind Marmortischchen, auf denen der Kaffee serviert wird, Thonetstühle, Logen, Zeitungstischchen und Details der Innenausstattung im Stil des Historismus. Die Kaffeehäuser sind ein Ort, in dem Zeit und Raum konsumiert werden, aber nur der Kaffee auf der Rechnung steht.“

Deutsches Brot hat es ebenfalls bereits auf die Liste geschafft. Dabei ging es nicht nur um Vielfalt und Handwerk, was beides für sich schon schützenswert ist! Wer erinnert sich nicht an das traditionelle Abendbrot im Kreis der Familie? Die UNESCO beschreibt das so: „Das Brot ist zentraler Bestandteil für Orte und Momente, in denen sich Menschen begegnen, um zu kommunizieren. Die Geselligkeit und das Brot sind auch ein im christlichen Kontext oder im Brauchtum bürgerlicher Christen stark verwurzeltes Begriffspaar.“

Und noch ein Beispiel aus der Ernährung, doch diesmal aus einem anderen Kulturkreis: koreanisches Kimchi. Kimchi ist auf jedem koreanischen Tisch unverzichtbar und besteht aus Gemüse, das in koreanischen Gewürzen eingelegt wird und in Kesseln, den sogenannten Onggi, gärt. Aufgrund der regionalen Unterschiede im Land betrachten die Koreaner Kimchi als Teil ihrer Identität und betonen mit jeder einzigartigen Mischung die Tradition ihrer Region und ihrer Familie. Kimchi-Rezepte gelten als heilig und werden nur von der Mutter an die Tochter oder Schwiegertochter weitergegeben.

Die Liste ließe sich fortführen: Couscous in Nordafrika, die Joumou-Suppe auf Haiti oder usbekisches Palov. Ihnen gemeinsam ist die wichtige gesellschaftliche und soziale Funktion, als Ausdruck von Einigkeit, Freundschaft und Glück, als Beispiel für Solidarität, Geselligkeit und Zusammengehörigkeit oder als Symbol für Einigkeit, Frieden und Solidarität. Doch wie begründet Italien seinen Anspruch darauf, dass der Espresso-Ritus als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt wird?
Italiener konsumieren etwa 30 Millionen Tassen Espresso täglich in Caffèbars, auf öffentlichen Plätzen und in Restaurants. Nicht berücksichtigt sind die vielen Tassen Espresso, die daheim zubereitet werden. Immer preiswerte und damit erschwinglichere Espressomaschinen für den Hausgebrauch verdrängen Mokkakannen aus italienischen Küchen. Tatsächlich ist Kaffee nicht nur ein Getränk, das man genügsam an einer Bartheke oder morgens zum Frühstück konsumiert. Es ist ein echter sozialer Ritus, der von Italienern gelebt und geliebt wird. Wie es der stellvertretende Landwirtschaftsminister Gian Marco Centinaio im Zusammenhang mit der Bewerbung erklärt: „In Italien ist Espresso viel mehr als nur ein Getränk: Es ist ein authentisches Ritual, ein integraler Bestandteil unserer nationalen Identität und Ausdruck unserer sozialen Beziehungen, die uns auf der ganzen Welt auszeichnet.“

Die Bewerbung letztes Jahr scheiterte, da zwei unterschiedliche Regionen das Espresso-Ritual jeweils für sich beanspruchten. Die UNESCO ließ bei ihrer Ablehnung allerdings durchblicken, dass ein gemeinsamer Antrag durchaus Chancen hätte. Was beinahe zu einem Kulturkrieg Nord gegen Süd geendet hätte, führte im Kampf für die Sache zur großen Einigkeit: man raufte sich zusammen und reichte diesmal nur eine Bewerbung ein – für ganz Italien!
Sollte der Antrag bei der UNESCO durchgehen, würde das bedeuten, dass ein „echter“ Espresso fortan nach strikten Regeln zubereitet und getrunken werden muss, um auch tatsächlich als authentisch zu gelten. Dazu gehört, dass die Bohnen frisch gemahlen und der Caffè nicht kürzer als 20 und nicht länger als 27 Sekunden lang aufgebrüht werden darf. Die Crema muss noch mindestens zwei Minuten nach Ausgabe des Espressos gleichmäßig auf der Oberfläche bestehen – ohne Umrühren versteht sich – und „eine dunkle, haselnussbraune Farbe mit hellen Schlieren“ haben. Auch Menge und Temperatur sind in dem Antrag dokumentiert. Selbst die Tassenart, die dann verwendet werden soll, wurde bestimmt: Porzellan mit schmalem Boden.

Egal wie das Bewerbungsverfahren ausgeht: für echte Espresso-Fans steht das Ergebnis eh längst fest: Getränk wie Ritual gehören bereits so eng zu Italien, wie Pizza oder schmalzige Popmusik im Radio. Ob mit oder ohne Auszeichnung, des Genießer schmeckt es.
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Sehr interessanter Bericht! Ich drücke den Italienern die Daumen und hoffe, dass ich das authentische Erlebnis an einer italienischen Bartheke auch bald wieder erlebe.
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Ich werde über den Ausgang berichten…
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Da drücke ich den Menschen in Bella Italia doch ganz feste die Daumen!
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Bin dabei!
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Auch ich drücke den Menschen ganz feste die Daumen.
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Verdient hätten sie es!
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