Korfiotisches Kaffee-Tagebuch II: Nachwort – Lorenzo Mavilis‘ Kardaki-Sonett

Auf Korfu kennt jedes Kind den Namen Lorenzo Mavilis. Der griechische Gelehrte, Dichter, Politiker, Freiheitskämpfer und Schachkomponist wurde 1860 auf der benachbarten Insel Ithaka geboren, studierte in Athen und 12 Jahre in Deutschland, verbrachte aber die meiste Zeit auf Korfu. Er war nicht nur ein begnadeter Übersetzer für Goethe, Schiller, Byron oder Dante – neben Deutsch, Englisch, Italienisch und natürlich Griechisch sprach er auch Sanskrit, Indisch, Latein, Altgriechisch, Französisch und Spanisch – er schrieb 58 Sonette und mehrere Romane.

Mit 36 Jahren Kämpfte er als Freiwilliger in der Revolution auf Kreta und wurde dort verwundet. Ab 1910 war er Parlamentsabgeordneter für Korfu, fiel aber zwei Jahre später im Krieg von 1912. Aber der Grund, weshalb ihn jedes korfiotische Kind kennt, ist das Gedicht, dass er über die Kardaki-Quelle schrieb und dass jeder Schüler auf Korfu bis heute auswendig lernen darf.

Ihr erinnert Euch an meinen Abstieg zur Quelle? Dort habe ich von den verwitterten Inschriften erzählt, die ich nicht entziffern konnte. Meine Reiseführer schwiegen sich ebenso aus, wie sie es schon bei der konkreten Wegbeschreibung taten. Doch schien jeder, den ich nach der Quelle fragte, das Gedicht von Mavilis zu kennen. Erst wieder zurück fand ich auf der Webseite des ehemaligen Lehrers und Informatikers Michael Neuhold – http://www.mneuhold.at/ – Antworten. Als Kenner der griechischen Sprache waren die für Neuhold überhaupt kein Problem.

Zuerst zur ursprünglich von den Venezianern angefertigten Einfassung der Quelle. Die soll, nach Neuhold, das Relief eines geflügelten Löwen zeigen. Ist mir entgangen und auch nicht auf meinen Fotos zu erkennen. An der Mauer der Einfassung befindet sich eine Inschrift, die besagt, dass die Quelle 1898 unter Bürgermeister A(ngelos) Psoroulas repariert worden ist. Besser zu lesen ist eine Tafel aus dem Jahr 1968 mit den letzten beiden Zeilen eines Sonetts von Lorentzos Mavilis.

Michael Neuhold hat auch gleich eine Übersetzung des Gedichts parat, mit dem der zweite Teil des Korfiotischen Kaffee-Tagebuchs sein Ende findet. Er hat zwar nach eigenem Bekunden nie aus der Quelle getrunken, wohl aber das Gedicht ausfindig gemacht und übersetzt. Hier also seine Fassung:

Kardaki

Die unkenntlichen Trümmer des antiken
Tempels auf der einsamen Küstenseite
liegen von Gras überwachsen. Es lacht
ringsum Schönheit einer immer neuen Welt.

Und ich sage, dass noch vom Gipfel des schönen
Hügels, in Weiß gekleidet, hinunterrollt
das antike Leben und ihm leuchtet
ein strahlender Tempel eines Meisters von Kerkyra.

Goldtraum, ich sehe dich, denn mich hat
bezaubert das Wasser in der kalten Quelle,
das aus der heiligen Erde läuft.

So wird irgendein Gott es bestimmt haben.
Und welcher Fremde hier die Lippe netzt,
wird nicht mehr zu seiner Familie zurückkehren.

5 Gedanken zu “Korfiotisches Kaffee-Tagebuch II: Nachwort – Lorenzo Mavilis‘ Kardaki-Sonett

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