Es hat abgekühlt in der Nacht. Für einen kurzen Moment scheint die Stadt den Atem anzuhalten. Die Feuer der Ćevabdžinicas, Buregdžinicas und Shisha-Bars sind erloschen, die Musik der Restaurans und Bars verstummt. Für einen kurzen Moment durchschneidet nur das Kratzen der Besen auf dem Pflaster die Stille, die Ruhe, bevor sich Sarajevo ins morgendliche Verkehrschaos stürzt. In den Lärm der Autos und dem Kreischen der Straßenbahnen, wenn sie die Vijećnica, die zerstörte Nationalbibliothek, umrunden, mischt sich das klappern der ersten Tische und Stühle, die vor die Cafés, Slastičarnas und Kaffeehäuser gerückt werden. Zeit aufzustehen…

Es ist der vierte Tag in Sarajevo. Srebrenica, Zenica und Visoko wurden bereits besucht. Außerdem sinkt der Pegel der Reisekasse stetig. Zeit, sich rund um den Baščaršija-Platz ein günstiges Frühstück zu suchen. Das ist die Zeit, wenn auch die Einheimischen in eines der vielen Straßencafés gehen, die Zeit, in der die Stadt noch ihnen gehört und nicht den Touristen. Ein Wiener viršla im Blätterteig kostet in der Pekara Edin am Taxistand nur 1,20 KM – etwa 60 Cent – den bosnischen Kaffee gibt es für 1,00 bis 1,50 KM.

Der Platz vor dem Sebilj gehört noch den Tauben. Der Brunnen liegt direkt in der Mitte des Baščaršija-Platz, dem Herzen der Altstadt. Der Sebilj ist ein öffentlicher Brunnen in Form eines Kiosks. Der Name ist vom arabischen Wort sabīl – Weg, Reise, türkisch sebil) abgeleitet und bezeichnet ein öffentliches Brunnenhaus, wie man sie überall im Osmanischen Reich findet. Seine heutige Form erhielt er vor 130 Jahren. Ein Sprichwort sagt, dass jeder Reisende, der aus diesem Brunnen trinkt, irgendwann Sarajevo wieder bereisen wird. Jetzt ist er das Wahrzeichen der Altstadt und ist umringt von Tauben und alten Männern, die Touristen Taubenfutter verkaufen.

Es wird schnell heiß. Am Taxistand Nummer eins neben der Bäckerei und der Tramstation öffnen die Taxifahrer ihre Türen, um etwas Luft herein zu lassen, während immer mehr Menschen zur Arbeit oder zum Einkaufen gehen. Jetzt mischen sich die ersten Touristen unter die Menge. Es sind meist ältere Semester. Die jüngeren schlafen wohl noch…

Die Schattenplätze in den Cafés werden langsam rar. Gleichzeitig werden die Grillstationen angefeuert. Cevapi 5,00 KM, Pljeskavica 5,50 KM, Ražnjići 8,50 KM, Coca Cola 2,00 KM steht auf der Tafel vor dem Café. Es riecht nach Rauch und gebratenem Fleisch. Manch einer kehrt zu einem ersten oder zweiten Frühstück ein, während von der nahen Moschee der Muezzin zum Gebet ruft. Das erinnert einen immer wieder daran, dass man sich im muslimischen Teil des Landes befindet. Trotzdem: Sarajevo war immer ein Ort, wo Muslime, Christen und Juden in Eintracht zusammen lebten. Während der Belagerung 1992 bis 1992 wollten sie serbischen Truppen den jüdischen Bürgern freien Abzug gewähren. Die etwa 700 Mitglieder der jüdischen Gemeinde lehnten das ab, da sie zur Stadt gehören.

Überragt wird der Marktplatz von der Baščaršija Moschee, die neben der Muslihudin Čekrekčija Moschee hinter dem Taxistand zweite Moschee am Platz. Doch hier kann man sehen, wie tief das religiöse Leben mit der Stadt verbunden ist, denn in der „Markt-Moschee“ ist ein ständiges Kommen und Gehen. Die Tür steht für Gläubige immer offen. Ob sie das auch für Fremde tut, habe ich nicht ausprobiert.

Jetzt haben die ganzen Kupferschmiede und Andenkenläden ihren Kram auf das Pflaster geschafft. Wer soll das alles kaufen? Die älteren Damen mit Kopftuch nehmen es gelassen. Sie sind in ihre Gespräche und ihren Tee vertieft. Rechts daneben ein „Art House“ im Gebäude eines alten, osmanischen Bazars. Man erkennt es an dem Dach aus kleinen Kuppeln. Innen hingegen ist es teuer, ganz auf zahlungskräftige Touristen ausgerichtet und Fotografieren unerwünscht.

Werfen wir noch einen Blick auf das Hostel Identico. Das Paragraphenzeichen und der Hinweis, dass man den Ort nicht verlassen kann, erinnern mehr an ein Gefängnis. Tatsächlich ist es aber eine, na nennen wir es Jugendherberge. Und nicht einmal besonders billig. Mit meinen zehn Euro pro Nacht in meiner Pansion und sauberen Zimmern bin ich da sehr gut bedient!

Wer das Frühstück oder einen herzhaften Snack bereits absolviert hat und jetzt Lust auf etwas Süßes hat, der wird in einer der Slastičarnas, in einem der Konditoreicafés fündig. Kaiserschmarrn, torte, štrudla oder palačinke. Es ist das, wonach es jeweils klingt – und meistens sehr süß. Kaffee gibt es dazu natürlich auch. Mittlerweile sogar Espresso oder Cappuccino. Da es den natürlich bei uns zuhause auch gibt, halte ich mich lieber an den Bosnischen Kaffee, einen Mokka im kleinen Kupferkännchen gekocht.

Werfen wir noch einen Blick in die Bravadžiluk, die Straße hinter der Pansion Sibelj, in der ich Quartier bezogen habe. Vom Hintereingang geht es nur über einen kleine Hof mit einem Imbiss und einem Handy-Shop und schon ist man mitten in der Altstadt mit seinen Cafés und Restaurants. Hier mit Blick auf die Seite der Vijećnica. Hier wollen wir noch einen Augenblick verschnaufen, bis es das nächste Mal weitergeht zur Mula Mustafe Bašeskije und zur Pijaca Markale…


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Ein sehr lebendiger Beitrag, vielen Dank dafür.
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Sehr gerne!
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Wieder ein sehr interessanter Beitrag!
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Danke!
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Jetzt stellt sich mir nur noch eine Frage: Hast du aus dem Sebilj-Brunnen getrunken oder nicht? 😉
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Hmmm, stell mir die Frage bitte nochmal, wenn wir die Berichte von allen fünf Sarajevo-Reisen durchhaben. OK?
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Okay, das mache ich. 😄😄😄 Und noch eine Frage, wenn wir schon dabei sind: Ist eine Rückkehrer-Reise nach Sarajevo angedacht?
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Bestimmt. Aber erst, wenn Covid-19 kein Thema mehr ist. Außerdem war ich noch nie in Banja Luka…
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Du schreibst sehr lebendig und eindrucksvoll. Bei deinen Erzählungen hat man immer das Gefühl, mitten drin zu sein.
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Oh, das freut mich! Vielen Dank für das schöne Kompliment!
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Ja das mit dem lebendig ist gut gesagt. Ich finde, vor allem auch die Fotos unterstreichen das ganze noch. Ich habe überlegt, was mich an solchen Orten fasziniert? Ich denke es ist dieses Lebendige.
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Es ist – obwohl Europa – eine andere Kultur. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das Leben dort, allen Widrigkeiten zum Trotz, auch seine entspannten Seiten hat.
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Wahrscheinlich entspannter als hier.
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