Bosnischer Kaffee-Moment: mit der Tram nach Ilidža

Wenn man früh am Morgen mit dem Centrotrans-Bus von München nach Sarajevo fährt, dann erschlägt einen der erste Anblick der Stadt. Langezogen liegt sie im Tal, bedeckt vom Morgendunst, den die Sonne langsam weg leckt. Von Visoko fährt der Bus über Ilijaš, zweigt vor der Stadtgrenze nach links ab und folgt der Straße durch Vogošća und Hotonj und schließlich vorbei am Stadion Kosevo, bevor es hinab geht ins Tal.

Irgendwo dort oben gibt es diesen besonderen Blick quer über die Stadt, eine Aussicht, wie sie wohl die Serbischen Belagerer hatten. Jedes mal, wenn ich wieder nach Sarajevo gefahren bin, dann habe ich immer genau auf diesen Blick gewartet, dieser Moment, in dem sich die Stadt unter einem ausgießt und funkelnd und glitzernd durch das Tal schwappt. Nur von hier hat man eine Idee von der Länge der bosnischen Metropole.

Von einem Ende zum anderen misst Sarajevo etwa Zwölf Kilometer, wenn man Ilidža dazuzählen möchte. Bis hierher zumindest fährt die Tram von der Baščaršija, dem Kern der Altstadt. Rund um das Vijećnica, das ehemalige Rathaus, geht die westliche Wendeschleife. Das Vijećnica ist ein Gebäude von nationaler Bedeutung, wurde die im 19. Jahrhundert erbaute Bibliothek von serbischen Nationalisten in Schutt und Asche gelegt. Nach dem Gebäude knicken die Schienen scharf links ab und führen durch eine schmale Straße wie durch eine Schlucht zum Nordende der Baščaršija. Hier gibt es einen Taxistand, eine Bäckerei, die früh um fünf schon geöffnet hat. Außerdem starten von hier alle Tram-Linien.

Zuerst geht es durch die Mula Mustafe Bašeskije, die dann zur Maršala Tita wird und praktisch die gesamte Altstadt durchquert. Hier geht es nur in eine Richtung. Die Züge in Gegenrichtung nehmen die Obala Kulina bana entlang der Miljacka und vorbei an der Lateiner-Brücke, wo es 1914 zum folgenschweren Attentat auf den österreichischen Thronfolger kam. Erst am Sarajevo City Center – einem Neubau in unmittelbarer Nähe zum Parlamentsgebäude – vereinigen sich die beiden Fahrtrichtungen wieder.

Von dort geht es entlang der Miljacka. Wo der Fluss mäandert, wählt die Zmaja od Bosne den direkten Weg, die Hauptverkehrsachse, die im Bosnienkrieg als Sniper Alley traurige Berühmtheit erlangte. Dabei geht es durch die Stadtteile Grbavica – im Krieg zum Teil dem Erdboden gleich gemacht – Hrasno, Čengić vila I und II, Otoka, Alipašino polje, Vojničko polje, Stupsko Brdo und schließlich Stup. Hinter Stup ist die Stadtgrenze, denn Ilidža gehört formal nicht mehr zu Sarajevo.

Trotzdem hat es die zwölf Kilometer lange Fahrt mit der Trambahn in sich. Fährt man anfangs noch durch die leicht verstaubte Altstadt, geht es, nachdem am Parlamentsgebäude vorbei ist, die nächsten zehn Kilometer durch sozialistische Neubaugebiete. Zumeist grau erheben sich diese steinernen Riesen, durchbrochen von von modernen Stahl-Glas-Konstruktionen mit vielversprechender Aufschrift: Raiffeisenbank, Sparkasse, Unicredit, Petrol, Nokia, McDonalds, Novotel.

Warum ziehe ich immer wieder die Parallelen zum Krieg? Weil man immer wieder darauf gestoßen wird. Nur langsam verschwinden die Einschusslöcher aus den Fassaden der Häuser. Dazwischen immer wieder Löcher in der Bebauung, Brandruinen, ein völlig zerstörter Wohnblock, Häusern mit notdürftig verplombten Kratern in der Wand, groß wie Kleinwagen. Er ist immer allgegenwärtig, schwebt immer über einem, ist sichtbar, geifbar, beinahe riechbar, als würden die Straßen, die Häuser ihn ausschwitzen in einem fiebrigen Albtraum.

Dagegen ist die Moschee, die ein arabischer Milliardär kürzlich hat errichten ein echter Lichtblick, ein weißer Fleck zwischen grauen Häuserheeren, die sich, obwohl sie festgewachsen sind, aufeinander zuzuschieben scheinen. Hinter den Betonriesen erheben sich liebliche Hügel und Berge, übersät mit kleinen Häusern.

Und immer wieder gelingt ein Blick auf den kleinen Fluss, der sich unverdrossen durch die Häuserschluchten und über Brachen schlängelt. Dann der Flughafen und dahinter beginnt schon die Republika Srpska. Die Demarkationsline schneidet Stadtteile ab. Mit der Einnahme des Flughafens durch ehemalige Einheiten der Jugoslawischen Volksarmee begann im April 1992 die vier Jahre dauernde Belagerung der Stadt. Dort, wo heute die Grenze zur Republika Srpska verläuft, lag damals die Front. Neben dem Flughafen befinden sich die Ausläufer der Hochhaussiedlungen auf bosnischer Seite.

Wie anders ist da Ilidža! Kreischend wirft sich die Tram in die Wendeschleife. Auch deren Wagons könnten Geschichten erzählen, allerdings aus anderen Städten. Nach dem Krieg gab es kaum funktionierende Straßenbahnen. Aus den ehemals 90 Tatra K2 bastelte man 21 Garnituren, die teilweise zu Satra II – Sechsachser – und III – Achtachser – nachgerüstet wurden. Doch das reichte für das Streckennetz bei weitem nicht aus. Also suchte man nach ausgemusterten Straßenbahnen mit der 1435 Millimeter Normalspur.

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Und wurde fündig: 16 Tatra Satra II und III aus Brünn, 4 Tatra K2 aus Pjöngjang, 3 Lohner Typ E aus Wien (ehemals 16 Stück), 4 LHB aus Amsterdam. Mit dem Zusammenschrauben von Garnituren hatte man Erfahrung. Den früher einmal 71 Triebwagen, die in den 50er Jahren in Washington ausgemustert und für ein Siebtel des ursprünglichen Preises nach Bosnien verkauft wurden, erging es genauso. Zwischen 1967 und 1969 wurden 20 dieser Triebwagen zu 10 Gelenktriebwagen umgebaut. 1984 wurden sie schließlich nach über 40 Dienstjahren ausgemustert.

Besonders kurios ist die Geschichte von 20 Duewag. Die Wagen aus den 60er Jahren wurden in Köln betrieben, später ausgemustert und 1992 an die türkische Stadt Konya verkauft, die damit ihre neuen Normalspurlinien bestückten. 2015 gingen 20 Garnituren an Sarajevo, von denen 16 bis heute in Betrieb sind. Sie bringen es zum Teil auf über 60 Dienstjahre!

So darf es nicht verwundern, wenn man in manchen Wagen noch deutschsprachige Schilder und Bezeichnungen findet. Natürlich sieht man den Trambahnen an, dass sie ihre beste Zeit schon hinter sich haben. Trotzdem bilden sie das Rückgrat des innerstädtischen Nahverkehrs. Zu Stoßzeiten ist der Takt so eng, dass, wenn man eine Bahn verpasst, die nächste schon herankommen sieht.

Doch zurück zu Ilidža. Neben der Straßenbahn liegt der zentrale Omnibusbahnhof, Umsteigepunkt für viele, die weiter aufs Land müssen. Hier ist auch das Sara Centar, das größte Einkaufszentrum im Ort. Und einige Straßencafés, in denen man trefflich auf Bahn oder Bus warten kann. Daran angrenzend ein kleines, sehr touristisches Viertel. Eingekeilt zwischen drei großen Hotels sind hier viele kleine Bars und Grillbuden, Ćevabdžinicas und Buregdžinicas. Hier riecht es nach frischen Burgern, Pizzas und Cevapi. Hat man das kleine Viertel, dass etwas nach der Baščaršija geraten ist, hinter sich gelassen und den Fluss Željezniča überquert, dann landet man in einer Art Kurpark.

Der Name Ilidža stammt aus der türkischen Sprache und bedeutet so viel wie heiße Quelle, also Thermalbad. Im Ort befinden sich viele Thermalquellen, die reich an Schwefel und Mineralien sind. Ilidža war seit der römischen Zeit bis hin zu k. u. k. ein bekannter Kurort. Aus Habsburger Zeit stammen einige repräsentative Gebäude, weit verstreut im weitläufigen Park, die heute wieder zu Luxushotels ausgebaut werden: Hotel Austria & Bosna, Hotel Hercegovina, Hotel Crystal und das größte und modernste unter ihnen, das Spa Hotel Therme. Im Gastraum des Hotels Hercegovina hingegen herrscht noch der späte Charme des Kommunismus und Preisen wie im alten Rom. Von den römischen Vorgängern sind übrigens nur noch Grundmauern übrig.

Da doch lieber einen Bosnischen Kaffee für 1,50 KM am Autobusna Stanica, am Busbahnhof. Hier ist das Geschirr nicht Kupfern, wie in der Hauptstadt, sondern in schlichtem Blech. Es tut seinen Zweck. Der herbe Kaffee erfrischt nach dem langen Spaziergang, das Wasser kühlt. Busse kommen und gehen, Trambahnen kreischen in der Kurve. Der aufgeheizte Asphalt dampft. Ich spüre die reflektierte Hitze. Durchatmen. Noch ein Schluck Kaffee, ein Zug an der Zigarette. Ich glaube die Tram lass ich noch fahren. Ich nehme die nächste. Oder die drauf…

Für Kasia.

Bosanska kafa, molim!

Sa zadovoljstvom! Doživimo bosanski trenutak kafe zajedno! Wenn Dir dieser Beitrag gefallen hat, dann freue ich mich über ein Trinkgeld!

2,50 €

6 Gedanken zu “Bosnischer Kaffee-Moment: mit der Tram nach Ilidža

  1. Dein – übrigens richtig klasse geschriebener – Bericht liest sich wie eine Zeitreise in eine schon länger zurückliegende Epoche. Ich bin etwas erstaunt, dass es optisch dort noch immer so stark sozialistisch anmutet. Aber es wird sicher noch ein Weilchen dauern, bis sich dieser Eindruck abschwächt. Kaffee aus dem Blechnapf? Da fühlt man sich doch gleich wie beim Camping, oder 😃?

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    1. Danke für Dein Kompliment! Gerade aus Deinem Mund tut das besonders gut. Gott sei Dank ist nur der Cezve oder Ibrik aus Blech. Das Tässchen ist aus Porzellan, wobei in dieser einfachen Version auf eine Ummantelung aus Metall verzichtet wird…

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  2. Diese krassen, riesigen Wohnblocks in den Städten. Das ist so ein typisches, postsowjetisches Bild. Die Aufnahmen erinnern mich sehr an die Innenstadt von Bukarest. Die Stadt an sich war nicht schön und wirkte sehr verwahrlost, man spürte aber noch die verblasste Schönheit in der Altstadt. Und da gerade Juni war, dufteten die Mauern nach Lindenblüten…

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