Uns fehlt der „Dritte Ort“ – Bayern will öffnen!

Die Corona-Pandemie verändert unseren Alltag, für manche von uns sogar drastisch. Immer wieder diskutiert wird die dramatische Lage der Gastronomie. Dabei geht es nicht nur um Ernährung oder Kaffee, es fehlt uns ein wichtiger Teil unseres Lebens. Es fehlt der „Dritte Ort“. Der Begriff Dritter Ort, in englisch „third place“ oder seltener auch „great good place“ genannt, umschreibt in der Soziologie Orte der Gemeinschaft, die einen Ausgleich zu Familie und Beruf bieten sollen.

Wikipedia erklärt: „1989 veröffentlichte der US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg das Werk „The Great Good Place“, in welchem er sein Konzept des Dritten Ortes erstmals umfassend vorstellte. Seiner Auffassung nach dient der Erste Ort dem Familien-, der Zweite Ort dem Arbeitsleben. Der Dritte Ort bietet zu beidem einen Ausgleich und ist ein Treffpunkt für die nachbarschaftliche Gemeinschaft.

Oldenburg zufolge soll ein Dritter Ort acht Charakteristika aufweisen: Erstens befindet er sich auf neutralem Boden, jeder außer den dort arbeitenden Menschen kann daher kommen und gehen, wie es ihm beliebt. Zweitens steht er grundsätzlich allen Bevölkerungsschichten offen und soziale Unterschiede werden abgeschwächt. Drittens ist Konversation erwünscht. Viertens sind Dritte Orte einfach zu erreichen. Fünftens verfügen sie über Stammgäste. Sechstens steht die Optik des Dritten Orts nicht über seiner Funktion, Oldenburg spricht von einem „low profile“. Siebtens herrscht eine spielerische („playful“) Stimmung, allzu ernste Themen werden vor der Tür gelassen. Achtens dient der Dritte Ort als zweite Heimat beziehungsweise Zweitfamilie.“

Unter anderen beansprucht die US-Kaffeekette Starbucks für sich ein Dritter Ort zu sein. Seitdem Howard Schultz in das Unternehmen eingestiegen war, wandelte sich die Kaffeeröster vom Anbieter guter Kaffeebohnen zum Coffee Shop. Schultz erklärte Anfang der 90er Jahre, dass Starbucks überall auf der Welt einen Dritten Ort zur Verfügung stellen wollen, doch es gibt mehrere Kritikpunkte, die dagegensprechen. Zum einen vertreibt Starbucks durch seine aggressive Expansionspolitik echte Dritte Orte aus den Innenstädten, zum anderen entsprechen sie nicht den von Oldenburg aufgestellten Kriterien: soziale Unterschiede werden kaum abgeschwächt, sondern zum Beispiel durch Niedriglöhne noch verstärkt, viele sehen die Starbucks Cafés als alternativen Arbeitsplatz, also als zweiten „Zweiten Ort“ und eine wirkliche Heimat findet dort kaum einer.

Doch was wären „echte“ Dritte Orte? Typische Dritte Orte sind laut Oldenburg beispielsweise deutsche Biergärten, die Wiener Kaffeehäuser oder britische Pubs. Ergänzen würde ich diese Liste gerne noch um die italienische Espressobar, das französische Straßencafé oder das griechische Kaffeneon, alles Orte, die neben ihrer gastronomischen auch ganz eindeutig eine wichtige soziale Funktion haben. In den USA hingegen gibt es, auch bedingt durch den zentralistischen Städtebau und die ausgedehnten Vorstädte, kaum solche Dritten Orte. Die Folge sei laut Oldenburg Stress durch den fehlenden Ausgleich.

Und genau das passiert gerade mit uns: unsere Dritten Orte sind pandemiebedingt geschlossen oder drücken uns mehr oder weniger herzlich einen Pappbecher „to go“ in die Hand. Von Terrassen und aus den Innenräumen hat man uns verscheucht. Das möchte ich nicht als Kritik an den Corona-Maßnahmen der Regierung verstanden wissen. Meiner Meinung nach versucht sie gerade so viele Menschenleben wie möglich zu retten. Dass das kaum ohne Opfer funktionieren kann, müsste jedem klar sein. Die Sehnsucht nach den Dritten Ort könnte aber eine Erklärung dafür sein, dass gerade junge Menschen nach Ersatz-Orten suchen – hier in München sind das vor allem der Gärtner- und der Feilitzschplatz, aber auch die Isaranlagen und der Englische Garten – und babei auf Corona-Regeln und die Gesundheit ihrer Mitmenschen keine Rücksicht nehmen. Bitte: eine mögliche Erklärung – keine Entschuldigung!

Was haben wir gemacht, wenn uns die Sehnsucht nach dem Dritten Ort gepackt hatte? Es blieben uns noch die weniger überlaufenen Parks, es blieben uns einige wenige Begegnungen, die dadurch um so wichtiger werden, es blieb uns die Möglichkeit virtuelle Dritte Orte zu schaffen, zum Beispiel in dem wir unseren Kaffeeklatsch ins Internet verlegen und Skypen. Notlösungen, zugegeben, doch konnte es uns dabei helfen diese schwierige Zeit zu überwinden. Natürlich mit dem Ziel vor Augen, dass wir uns nach der Pandemie wieder an echten Dritten Orten treffen können und das möglichst vollzählig. Zwei Verabredungen habe ich schon: am Montag nach Corona ist Stammtisch, am Dienstag Lunch mit meinem Vater.

Gestern hat Söder weitreichende Lockerungen für Bayern angekündigt. In bayerischen Landkreisen und kreisfreien Städten mit einer stabilen Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 dürfen ab kommenden Montag, den zehnten Mai, die Außengastronomie, Theater, Konzert- und Opernhäuser sowie Kinos öffnen. Die Außengastronomie muss dann um 22.00 Uhr schließen. Es gelten dabei bereits bekannte Auflagen wie Hygienekonzepte, Masken- und Testpflicht sowie die Notwendigkeit einer Terminbuchung. Und sogar Urlaub in Bayern soll zu Beginn der Pfingstferien am 21. Mai in Regionen mit niedrigen Corona-Infektionszahlen wieder möglich sein.

Das bringt uns unseren „Dritten Ort“ wieder einen Schritt näher. Und das gibt uns ein Stück von der viel beschworenen „Normalität“ zurück. Doch gerade am Anfang und bis der größte Teil der Bevölkerung geimpft sind, sollten wir mit unseren wiedergewonnenen Freiheit sehr verantwortungsbewusst umgehen. In diesem Sinne: bleibt gesund!

Titelbild: Image by StockSnap from Pixabay, Bilder: Image by Free-Photos from Pixabay, Image by Pexels from Pixabay, Image by Olga Ivanova from Pixabay; Quellen: Wikipedia, tz, Süddeutsche Zeitung, Münchner Merkur.

Kaffee am ganz persönlichen „Dritten Ort“?

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23 Gedanken zu “Uns fehlt der „Dritte Ort“ – Bayern will öffnen!

  1. Ich vermute, Bayern wird zur Pfingstzeit überlaufen sein.
    Der dritte Ort; interessant, dass es ihn früher in meiner Jugend in Polen so nicht gab. Die Menschen auf dem Lande luden sich gegenseitig nach Hause ein, ein Bedürfnis, in den Biergarten oder in ein Café zu gehen, entstand im Grunde gar nicht. Das hat sich freilich in der heutigen Zeit geändert, wir sprechen hier von den neunziger Jahren. Jetzt fehlt der sogenannte Dritte Ort als Ausgleich, und speziell die Jugend versucht, ihn sich wieder zurück zu holen. Oft sehe ich Grüppchen von Jugendlichen, die sich mehr oder weniger heimlich draußen im Freien treffen und mich dabei angucken wie verschreckte Hasen auf dem Felde. Die Menschen brauchen ihre sozialen Kontakte und ihren neutralen Boden. Und in diesem Fall denke ich mir, lieber sie erklären die Burgruine oder die Weinberge zu ihrem „Dritten Ort“ als sich in stickigen Räumen irgendwo zu verstecken…

    Ich für meinen Teil freue mich auf eine vorsichtige Öffnung. Die Zahlen sinken und das ist sicher nicht der Notbremse zu verdanken. Langsam keimt bei mir der Verdacht, dass sich das Spiel vom letzten Jahr wiederholen wird. Niedrige Infektionszahlen im Sommer, langsam steigend gen Herbst. Mal sehen…

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    1. Ich glaube, dass wir im Herbst bedeutend mehr Geimpfte haben werden und so die von Dir befürchtete vierte oder fünfte Welle ausbleibt oder sich wenigstens weniger auswirkt. Wenn, ja wenn uns nicht irgendeine aggressive Mutation einen Strich durch die Rechnung macht, was sich nur dann dauerhaft verhindert werden kann, wenn wir weltweit impfen.

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  2. Sehr schön geschriebener Bericht. Jetzt weiß ich, warum ich die Cafés vermisse 😊. Die Lockerungen sollen ja ab Montag bei einer Inzidenz unter 100 gelten. Das könnten wir in München bis dahin schaffen. Aber wenn ich für eine kurze Kaffeepause einen negativen Coronatest vorlegen muss, dann verzichte ich doch lieber! Eine andere Möglichkeit wäre nach einem Test an einem Tag zum Friseur, ins Kino und Kaffee trinken zu gehen 😉…

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    1. Ich würde mich gerne mal wieder in ein Café setzen, gerne auch im Außenbereich. Mit weiteren Lockerungen werde ich für mich persönlich bis nach meiner zweiten Impfung warten. Aber es wäre schön, wenn man am Ende eines Spaziergangs oder einer Wanderung mal wieder einen Coffee-to stay genießen könnte…

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      1. Mein Plan, alle Lockerungen an einem Tag in Anspruch zu nehmen, war nicht ernst gemeint… Ich bin ziemlich vorsichtig 😊.
        Aber draußen auf einer Caféterrasse zu sitzen, das hätte schon was. Und ins Kino würde ich mich ( nach mehr als 15 Monaten ! ) ab zwei Wochen nach meiner ersten Impfung trauen.

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  3. Vom dritten Auge habe ich schon gehört, vom dritten Ort noch nie, aber was für eine großartige Idee! Ich fürchte nur wir hatten schon vor Corona diesen Ort nicht mehr so richtig, denn wo kann man heute noch hingehen und sicher sein, bekannte Gesichter zu treffen?
    Früher gab es das, als es noch nicht so viel eKneipen gab und das Publikum sich auf einige wenige konzentrierte. Heutzutage finden in den Cafes eher Verabredungen statt, die sich derzeit auf WhatsApp oder soziale Medien verlagert haben. Teure Wiener Kaffehäuser oder Starbucks mit zeitlich begrenzter Aufenthaltserlaubnis zähle ich schon gar nicht dazu.
    Aber das Cafe unserer örtlichen Bücherei, wo man für 1,50EUR eine Tasse guten Kaffee vom Automaten kriegt – das wäre so ein Ort. Da werde ich nach dem Lockdown wohl als erstes hingehen. 🙂

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    1. Solche Orte, wie Bibliotheken, werden unter Soziologen tatsächlich diskutiert, wenn es um den Dritten Ort geht. Wobei hier die selbe Kritik greift, wie bei Starbucks: für viele ist die Bibliothek ein Zweiter Ort, weil sie da hingehen um zu arbeiten (studieren, lernen, recherchieren). Ich würde die Wiener Kaffeehäuser aber durchaus dazuzählen. So teuer sind die gar nicht. Und traditionell genügt ein „Kleiner Brauner“ schon als Tageskarte. In sehr guten Kaffeehäusern wird sogar das Wasserglas unaufgefordert wieder aufgefüllt. Der geduldete Student, der sich nur einen Kaffee leisten kann, gehört hier zur Mischkalkulation. Leider gilt diese duldsame Rücksichtnahme nicht mehr für alle Cafés und Kaffeehäuser – für Starbucks aber garantiert nicht!

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      1. Du hast recht: Die Bibliothek ist kein Ort des Austauschs, man soll – bei uns zumindest – die ausgelegten Magazine lesen und die Klappe halten. Wenn es darum geht, irgendwohin gehen und ohne offizielle Verabredung Leute treffen zu können, die man zumindest weitläufig kennt und mit denen man sich zwanglos zusammensetzen kann, dann fällt mir jetzt nur noch die Firmenkantine ein.
        Schade eigentlich. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, möchte ich nämlich einen dritten Ort haben, wenigstens nach Corona. Vielleicht finde ich noch einen, der auch für Nicht-Firmenangehörige zugänglich ist. 🙂

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  4. zunächst bin ich erschrocken über den zweiten Ort ! Das Arbeitsleben, also der Schreibtisch oder das Fließband oder anderswo ! Stimmt aber schon, die Hälfte unseres Lebens ver bringen wir im Arbeitsalltag ! Das ist aber ein anderes Thema !

    Ich freue mich auch über Orte die man wieder besuchen könnte. Gut du weißt, Caffes bei mir leider weniger aber in ein Restaurant, zum „Griechen“ u.v.a. mehr, das würde schon mal wieder gut tun. Ich bin gespannt wie es weitergeht ! Gesund bleiben

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  5. Mir fehlt allein schon der zweite Ort. Vermutlich, weil ich das schönste „Büro“ mit der besten Aussicht hatte. Da kann, mit weitem Abstand, kein anderes Büro mithalten.😉
    Ich freue mich sehr, dass die dritten, bayerischen Orte wieder öffnen sollen, sollte es der Inzidenzwert erlauben. 🤩 Es war und ist eine sehr lange Durststrecke und das im wahrsten Sinne des Wortes.

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  6. Das hast Du gut ausgedrückt: der „dritte Ort“, er fehlt mir auch sehr. All die kleinen Cafés mit Außenbereicht, das vermisse ich am meisten, vor allem in südlichen Ländern. Das Lokalcolorit genießen, die Leute vorbeiflanieren sehen, das macht für mich ein Stück Lebensqualität aus. Hoffen wir, dass wir das bald erleben können.

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