Royush Projekt „Wöchentliche Fotochallenge“ #07 Kaffee

Bisher habe ich an der Fotochallenge von ROYUSCH-UNTERWEGS noch nicht teilgenommen. Meine Bloggerkollegin von Wanderlustig hatte mich aber darauf aufmerksam gemacht. Schließlich berührte es genau mein Thema: Kaffee. Die Aufgabenstellung: „Bei diesem Projekt soll es darum gehen, dass ich einmal pro Woche (Sonntags) einen Begriff vorgebe und Ihr dann die Woche über Zeit habt für Euch einen Beitrag zu erstellen und auf meinen zu verlinken; aber das kennt Ihr ja schon. Auch für dieses Projekt gilt: keiner muss, jeder kann und wie immer nur ein Bild.“

Also hier mein Bild, mit einer ganz besonderen Geschichte:

Vor etwas mehr fünfzehn Jahren saß ich an einem Sonntagmorgen im Taxi und hörte B5 aktuell. Es war Pfingsten und die BR-Korrespondenten brachten ihre Radio-Features, halbstündige Radioreportagen, die Sahnestücke, das Salz in der Suppe, die Momente, die aus dem journalistischen Arbeitsalltag herausragen. Der Balkan-Korrespondent berichtete über Srebrenica, eine kleine, unwichtige Provinzstadt, die einmal im Jahr zum Zentrum des medialen Interesses wird, nämlich immer dann, wenn der Jahrestag des Massakers begangen wird. Das einzige Hotel des Ortes ist dann ausgebucht. Doch der Hotelier hatte weder Kosten noch Mühen gescheut um den angereisten Presseleuten einen damals in dieser Region unglaublichen Service zu bieten: Internet.

Da wollte ich hin. In einem Leben davor hatte ich zehn Jahre lang Versicherungen gedealt und war schließlich an den Kosten eines eigenen Ladenbüros zugrunde gegangen. Finanzamt und Gläubiger taten ihr übriges und ich rettete mich ins Taxi. Es dauerte trotzdem Jahre bis ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Das Taxi, insbesondere mein Taxi-Chef, haben einen Großteil dazu beigetragen und mein Anwalt, dem es gelang die schlimmsten Folgen von mir abzuwenden. Mit knapp vierzig stellte ich mir die Frage, ob das nun wirklich schon alles war. Wenn es nun eh egal war und ich ganz von vorne anfangen müsste, dann könnte ich auch etwas machen, was ich schon in meiner Jugend werden wollte. Und ich begann ein journalistisches Fernstudium.

Srebrenica, genauer gesagt Potocari, sollte mein erster Auslandseinsatz sein. Auf eigene Rechnung natürlich. Mit dem Gastarbeiter-Bus 15 Stunden nach Sarajevo, eine Unterkunft gesucht für zehn Euro am Tag, am nächsten morgen, wieder mit dem Bus, nach Potocari. Ich habe keine Zeile verkauft von dieser ersten Reise aber ein Abenteuer erlebt, mit verschwundenen Bussen, inexistenten Fahrplänen. Ich habe das erste Mal bosnischen Kaffee getrunken, Cevapi in der Baščaršija gegessen, Drina geraucht, mich in die Stadt Sarajevo und das Land verliebt und viele nette und hilfsbereite Menschen getroffen. Und – per Zufall – meine erste CD von Dino Merlin gekauft, eine Raubkopie natürlich. In den folgenden Jahren war ich mit Norwegian People’s Aid auf Landminensuche im Distrikt Brčko, habe mit Sam (Semir) Osmanagić die bosnischen Pyramiden bewundert, bin mit der Bahn von Sarajevo über Mostar nach Ploče gefahren – eine der schönsten Bahnstrecken der Welt! – war in Belgrad, Zenica, Doboj und immer wieder in Sarajevo.

Der Balkan und seine Menschen hat mich nicht mehr losgelassen. Doch zu Sarajevo-Reisen fehlte plötzlich die Zeit. Ich fand mich im stressigen Medien-Alltag wieder und im Zustand ständiger Überforderung. Mit meiner Spezialisierung auf Taxithemen hatte ich eine nachgefragte Nische gefunden, aber eine ohne großartige finanzielle Aussichten. Das machte ich mit, bis es nicht mehr ging und mich meine Gesundheit, die offenbar schlauer ist als ich, dazu zwang mein Leben zu ändern. Monatelang war ich nur von einem taxirelevanten Event zum nächsten getingelt, hatte einen täglichen Ausstoß von über 10.000 Zeichen, hatte teilweise über Monate hinweg ohne einen freien Tag durchgearbeitet. Plötzlich ging nichts mehr. Ein Abgrund tat sich auf.

Gut, dass ich noch das Taxi hatte. Ein fester Tagesablauf kann helfen. Dann stolperte ich über einen Blogeintrag meines geschätzten Taxi-Kollegen Reinhold Siegel, den er im März 2012 über mich verfasst hatte. Dort heißt es:

„Eine seiner Faibles ist der Balkan. In dem Gemisch von Nationalitäten und noch mehr Staatsangehörigkeiten, einer Handvoll Religionen und noch mehr Glaubensbekenntnissen, inmitten der gelebten Kulturen fühlt er sich zuhause. Das hört man wenn man mit ihm spricht, das sieht man wenn man seine Texte kennt und das riecht man wenn er seinen Knaster raucht. Ich weiß nicht woher seine exotischen Zigaretten kommen, aus Bosnien oder aus Herzegowina, aber ganz sicher von irgendwoher aus dem Balkan. Zwischen den tatsächlichen Minenfeldern und den Minenfeldern aus Fettnäpfchen, in die jeder zumindest das erste Mal  stolpert, wenn er nicht mindestens sechs Semester Slawistik in Wien studiert hat, fühlt er sich wohl.

Tom fliegt dabei nicht mit der Lufthansa oder JAT, sichert sich kein Basishotel, akkreditiert sich nicht  mit seinem neuen Presseausweis bei der deutschen Botschaft, wendet sich nicht an den Local Support – nein, Tom mag es nicht so einfach. Kompliziert, sich nicht auf den ersten Blick erschließend muss es sein, wie der Balkan eben. Er reist mit Bus und Zug, vertraut sich unseren Taxikollegen an. Und das kann uns nur gefallen, denn so findet er das, auf das wir neugierig sind.

Ich sehe ihn im Geiste vor mir. Er sitzt am Tisch im Schatten eines Kaffees im Hof eines Busbahnhofs in Bosnien. Genauso gut könnte es auch in Serbien, Herzegowina oder Montenegro sein. Vor ihm steht ein Mokka in einer kleinen Tasse mit verwaschenem Aufdruck. Er raucht seine exotischen, in diesem Falle, heimischen, Zigaretten. Welche verschlungenen Wege seine Zigarettenpackungen wohl gegangen sind, bis er sie in München in seiner Jackentasche findet. Er blickt auf die bunten Busse mit  kyrillischen oder lateinischen Buchstaben. Sein typisches Käppi hat er jetzt wieder auf. Hier spürt er seine nächste Story auf. Und wir wollen sie lesen. Nicht nur im Blog.“

Da wusste ich auf einmal, was ich zu tun hatte. Ich packte meine Sachen, bestellte mein Busticket nach Sarajevo und Reservierte ein Zimmer genau in der Pension, in der ich schon vor zehn Jahren abgestiegen war. Ach ja – und ich startete meinen Blog!

Dass Bild zeigt einen Kaffee, den ich im Café Dva ribara – zwei Fischer – in Sarajevo am Ufer der Miljacka an einem sonnigen Nachmittag getrunken habe. Das Café ist an der Brücke zur Čobanija zwischen Altstadt und Sarajevo City Center. Als ich die ersten Male nach Bosnien gefahren bin, da waren die Narben des Krieges noch deutlicher zu sehen, als heute. Nicht weit weg von der Brücke gab es ein zerbombtes Parkhaus, im Parlamentsgebäude und Holyday Inn waren deutliche Löcher zu sehen und das ehemalige Hotel Bristol war nur ein Skelett.

Noch heute, 25 Jahre später, sieht man in vielen Häusern Einschusslöcher, doch die großen Baulücken wachsen langsam zu. Wann die Seelen der Menschen heilen werden bleibt eine offene Frage. Doch zurück zum Kaffee: ich hatte gerade eine Fahrt mit der „Friedensbahn“, ein Zug mit nur drei Waggons, von denen jeder von einer anderen Nation und von einer anderen Bahngesellschaft stammt. Während der Speisewagen aus Serbien stammt und beheizt ist, kommen die beiden übrigen, ungeheizten Wagen aus Bosnien – je einer aus der serbischen Teilrepublik Republika Srpska und aus der muslimisch-kroatischen Föderation. Die Lokomotive wechselt an jeder der Grenzen, denn auch die Bahnstrecke durchquert drei Länder. Das letzte Stück ging es mit Dampf.

Das Wichtige an dieser Bahnverbindung ist ihr symbolischer Wert. Mit jedem anderen Verkehrsmittel wäre man schneller, denn mit Verspätung braucht man für die knapp 300 km zehn Stunden, mit dem Auto weniger als die Hälfte. Bis zu meiner Rückfahrt hatte ich noch etwas Zeit, die ich unter anderem in diesem Café verbrachte, an einem sonnigen Nachmittag mit viel bosnischem Mokka…

 

Wie haben meine Blogger-Kolleginnen und -Kollegen die Kaffee-Aufgabe gelöst? Hier eine kleine Auswahl:

Wanderlustig

awapi

Blendenzauber

Hanneweb/Hallöle

Besondere Erwähnung verdient der Blog windrose.rocks von meiner lieben Blogger-Freundin Kasia. Mit ihrem Beitrag über griechischen Mokka mit Mastrix hat sie sogar mich aus der Reserve gelockt! Ich hatte zwar schon einmal davon gehört, bin der Sache aber nicht auf den Grund gegangen. Nach Kasias Beitrag wird sich das aber ändern… 

17 Gedanken zu “Royush Projekt „Wöchentliche Fotochallenge“ #07 Kaffee

  1. Hi Tom,

    vielen Dank für die liebe Erwähnung! 🙂 Ich habe mich sehr gefreut.

    Das ist wirklich eine besondere Geschichte, sie begründet deine Liebe zum Balkan und lässt hinter die Kulissen blicken. Ich kenne den Balkan nicht; das einzige Land, in dem ich bisher war, war Rumänien (ist das überhaupt noch Balkan?). Doch ich stelle es mir wie eine Mischung aus Ostblock und orientalisch vor, je nachdem, wo man gerade ist. Rumänien war faszinierend, noch so halbwegs wild und ungeschönt. Es gibt viele Hemmnisse und Vorurteile bezüglich der Balkanstaaten, doch ist man erst einmal vor Ort, merkt man schnell, dass hier auch nur ganz normale Menschen leben, so wie wir. So ist es mir mit Rumänien zumindest ergangen.

    Ich bin schon auf weitere deiner Kaffeegeschichten gespannt 😉

    Liebe Grüße
    Kasia

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    1. Ob der Balkan an der Donau endet, oder ob Rumänien beziehungsweise zumindest die südliche Hälfte noch zum Balkan gehört, dazu gibt es verschiedene Ansichten. Geographisch gesehen gehört zur Balkanhalbinsel alles südlich einer gedachten Linie, die von Triest nach Odessa verläuft. Kulturell betrachtet ist die Donau so etwas wie eine Grenze. Heute wird zunehmend der Begriff „Südosteuropa“ verwendet, der aber, je nach Kontext, auch nicht eindeutig definiert ist und der zwar die Balkanhalbinsel größtenteils abdeckt, aber nicht deckungsgleich ist. Anders gesagt: ich kann Dir das auch nicht beantworten. Sicherlich aber stimmt Deine Beobachtung über die Menschen, die sich hüben wie drüben zwar kulturell und sprachlich unterscheiden werden, allerdings auch viele Gemeinsamkeiten haben werden. Und in Rumänien wie in Bosnien (oder wie in jedem Land der Welt) muss man halt aufpassen, was man tut. Hält man sich an die wichtigsten Regeln, dann kommt man auch gut durch. Man/frau muss sich halt zu helfen wissen… Danke für Dein Kompliment!

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  2. Das ist eine wunderbare Geschichte, die heute morgen mein Frühstück bereichert hat. Sie ist so gut erzählt, dass ich das Gefühl hatte, mit am Tisch des kleinen Cafés zu sitzen. Ich selber kenne den Balkan nur von der Durchreise nach Griechenland. Doch in einem meiner Berliner Stammcafés sitzt regelmäßig eine Männertruppe aus der Region. Wenn sie nicht gerade Backgammon spielen, palavern sie fröhlich über Gott und die Welt, während sie ihren Kaffee trinken. Zum Glück großteils auf deutsch, sodass die geneigte Zuhörerin auch inhaltlich und nicht nur atmosphärisch was davon hat.

    Was mich auch sofort angefixt hat in deinem Bericht: die Erwähnung der schönen Zugstrecke. Ich bin ja auch eine begeisterte Bahnfahrerin. Der Tipp ist jetzt sofort auf meiner Reisewunschliste gelandet. Danke!

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    1. Dann empfehle ich die die Bahnstrecke Sarajevo – Čapljina https://wp.me/p8O5tv-dK über Mostar https://wp.me/p8O5tv-Xt . Früher ging die Strecke mal bis Ploče. Eine Meisterleistung der k.u.k. Ingenieure. Dir Strecke geht über Berge, windet sich erst man tiefblauen Stausee Jablaničko jezero entlang und dann durch das Tal der Neretva, durch ein wildes, schroffes und unbeugsames Land. Eine der schönsten Bahnstrecken Europas. Vielleicht muss ich das hier einfach mal erzählen…

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