Korfiotisches Kaffee-Tagebuch: Ípsos Café

Ich erwache vom Plätschern des Wassers, ein Rauschen, als wäre die Toilettenspülung kaputt oder die Badewanne übergelaufen. Doch es ist kein sanitäres Problem: draußen wütet ein Sturm. Der Himmel bleigrau voll wütender Wolken, die schwarz und drohend vorüber eilen, der Regen wie eine Wasserwand. Ein kleines Ziegeldach gegenüber hat sich in einen Brunnen verwandelt. Wie über eine Kaskade ergießt sich das Wasser die Stufen hinab um dann mit einem Brausen auf die Terrasse zu spritzen und die Palmen werden von wechselnden Winden hin und her gerissen.

Ich erinnere mich an den mahnenden Blick des Meteorologen gestern in den Abendnachrichten. Wenn ich mich richtig erinnere hatte er für diesmal eine besonders dunkle Wolke für Korfu ausgesucht. Dann lehnte er sich zurück, streckte beide Arme nach vorne und machte mit der rechten Hand eine Drehbewegung, als würde er ein Motorrad oder einen Roller fahren. Dazu sagte er: „óchi, óchi, óchi!“ Ich packe wohl mal besser die Sonnencreme ein…

Da ich die Kiemenatmung kaum beherrsche hieß das wohl erstmal daheimbleiben. Zeit, sich das griechische Frühstücksfernsehen zu Gemüte zu führen. Um einen langen Tisch herum sitzen mehrere Frauen und Männer. Immer, wenn irgend ein Jingle läuft, dann ahmen sie im Sitzen Tanzbewegungen nach. Anders als bei uns: läuft ein Filmbeitrag, dann haben die Studiogäste nicht etwa Pause! Sie werden dabei gefilmt, wie sie sich den Beitrag anschauen und werden im Split-Screen eingeblendet.

Dabei versuchen sie durch ihre Mimik zum Ausdruck zu bringen, dass sie dem Geschehen dort aufmerksam folgen, was an frühe Stummfilme erinnert und auf mich unfreiwillig komisch wirkt. Dann wird über den Beitrag diskutiert, der, wieder im Split-Screen in Endlosschleife tonlos weiterläuft. Vor der Werbung dann wieder Musik und alle zucken rhythmisch auf ihren Stühlen…

Die Abendnachrichten ziehen sich über eine Stunde hin. Die Einspieler werden zum Teil von CNN oder anderen Sendern übernommen und im englischen ausgestrahlt. So verstehe ich wenigstens auch etwas. Danach kommen oft hochkarätige Spielfilme, ebenfalls im englischen Original. Wobei die Griechen den Jugendschutz sehr ernst nehmen. Jeder Spielfilm ist nach Eignung für ein bestimmtes Alter freigegeben und entsprechend gekennzeichnet. Ein Clip über die verschiedenen Altersfreigaben läuft vor jedem Film. Daran könnte man sich hierzulande ein Beispiel nehmen.

Außerdem läuft auf mindestens einem Sender griechische Volksmusik. Läuft auf mehreren Kanälen gleichzeitig Musik, muss in mindestens einer Sendung auf der Bouzouki gespielt werden. Auf einem der öffentlich-rechtlichen Sender lief das Konzert eines Interpreten mit orientalischem Tremolo, ein graumelierter Herr in einem silbergrauen Anzug, der lächelnd und mit ausgebreiteten Armen ein Lied nach dem anderen zum besten gab, das sich über fünf Stunden hinzog. Ich hatte diese Ausdauer nicht, habe nur immer wieder mal reingezappt, weil ich wissen wollte, ob er immer noch singt.

Das Plätschern hat ebenso unvermittelt aufgehört, wie es begonnen hat und ich traue mich aus dem Hotel. Ich nutze die Gelegenheit, um mir die venezianische Werft anzusehen. Ein erster Versuch scheiterte. Ich folgte einem Wegweiser von der Hauptstraße, wurde allerdings von einem Bauzaun gestoppt. Seit einem Erdbeben darf die Ruine nicht mehr betreten werden. Diesmal versuchte ich es erfolgreich von der anderen Seite.

Das Meer lag wie Quecksilber in der Bucht davor, während graue Wolkenfetzen darüber hinwegjagten, Richtung Albanien und griechischem Festland. Für die Venezianer war dies ein wichtiger Stützpunkt, praktisch ihr Tor zum Orient. Tatsächlich machten viele auf Korfu Halt: Agrippina auf der Rückreise nach Rom mit der Asche des edlen Germanicus im Gepäck, Antonius und Octavian auf dem Weg nach Syrien, Cicero und Cato trafen sich hier, die Konsuln von Rom hatten in den Kriegen gegen Mazedonien ihr Winterquartier auf der Insel.

Pompeius stach von hier in See, um Cäsar zu bekämpfen, Geneseric, ein Verbündeter Attillas, fiel von hier aus den Römern in den Rücken und Totila der Gote rüstete hier dreihundert Galeeren gegen Rom aus. Ihnen folgten Byzantiner, Kreuzfahrer, Genueser, Venezianer, Briten, Franzosen und andere. Immer war Korfu am Rande der Weltgeschichte, ein sicherer Hafen und ein wichtiges Sprungbrett für Eroberer.

Der Himmel reißt auf. Ich fasse Mut und fahre nicht zum Hotel zurück, sondern gleich weiter gen Norden. Bei Tzarós halte ich mich aber rechts und folge der Küstenstraße Richtung Kassiópi. Den Ferienort Dasiá ignoriere ich, ein typisches Urlauberdorf, in dem der Tourismus jede gewachsene Struktur verdrängt hat. Erst, als ich über eine Anhöhe gekommen bin und sich unter mir der langgezogene Strand von Ípsos öffnet, beschließe ich zu rasten.

Es ist nach dem Regen frischer, als ich dachte, doch hier weht ein warmer Wind vom Meer her. Ich stoppe gleich am ersten Café im Ort. Von der Terrasse aus habe ich einen Blick auf die Strandpromenade und die See. Die Kellnerin hat, wie viele Griechen, die dunkle Haut der Roma. Sie trägt ein schwarzes, kurzes Kleid, die langen, ebenso schwarzen Haare werden erfolglos in einem Zopf gebändigt. Als sie mir meinen Kaffee bringt, kommt sie mir so nahe, dass ich die Wärme ihrer Haut spüren kann. Sie lächelt mich an. Sollte ich vielleicht bleiben?

Ich lasse den Blick übers Meer schweifen. Der Gedanke ist verführerisch. Hier, an der Promenade reiht sich eine Taverne an die nächste. Man kann den Booten zuschauen, wie sie vom Wind übers Wasser getrieben werden. In der Ferne die gegenüberliegende Küste. Im Turm am Strand unter Palmen sitzt eine Rettungsschwimmerin mit braunen, gelockten Haaren und einem roten Bay-Watch-Einteiler. Ab und zu lehnt sie sich zurück und wirft ihre Locken hinter sich und streckt die gebräunten Beine aus. Ein schöner Ort – und schöne Frauen – doch ich will weiter.

Auf der Uferpromenade geht es bis zum anderen Ende der Bucht. Dann schraubt sich die Straße die nächste Anhöhe hinauf. Die Straße ich hier gut ausgebaut. Trotzdem ist der Wechsel von gemütlicher Promenade zu Serpentinen Anstrengend. Als ich die Anhöhe erklommen habe werfe ich einen Blick zurück. Verführerisch liegt Ípsos in seiner Bucht mit all seinen Verheißungen. Wäre ich Odysseus, ich hätte mir die Bucht ausgesucht um auf Korfu zu landen und meine Nausikaa zu treffen.

 

Jetzt geht es weiter nach Kassiópi, einem der heißesten Anwärter für Odysseus Landeplatz… 

4 Gedanken zu “Korfiotisches Kaffee-Tagebuch: Ípsos Café

    1. Irgendwie beides. Vor etwa dreißig Jahren hatte ich schon einmal Samos, Patmos, Mykonos und Tinos besucht. In den letzten Jahren konnte ich meine Liste um Rhodos, Simi, Kos, Kalymnos und jetzt zuletzt Korfu ergänzen. Es begann also eher zufällig und entwickelte sich zu einer Liaison, die mich nicht mehr loslässt.

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