„Hochnäsig, arrogant und herablassend“ – Wenn man im Internet recherchiert, dann stößt man unweigerlich auf gleichlautende Berichte aus dem Jahr 2014 von wahlweise Flauschi70 oder Dirk S. Wenn man die Geschichte liest, dann wird einem klar: hier ist ein Kaffeehaus-Besuch gründlich schief gelaufen. Liest man aber zwischen den Zeilen, dann drängt sich einem ein anderes Bild auf: kann es etwa sein, dass es in einem gediegenen Konditorei Café vielleicht nicht so lockerflockig zugeht, wie bei Starbucks? Und sind gute Manieren wirklich so aus der Mode? Mich erinnert das doch stark an die Beschwerde in einem Reiseportal über das Bazar in Salzburg. Dort sei man des Cafés verwiesen worden, weil man „Sportbekleidung“ trug. Wir können uns diese „Sportbekleidung“ gut vorstellen. Vermutlich Badeschlappen und Boxershort…
Das Café Wiener ist ein wenig aus der Zeit gefallen. Klar, schließlich gibt es dieses Konditorei-Café schon seit 1894. Nachdem das ehemals älteste Kaffeehaus Münchens – das Tambosi – unlängst massakriert wurde um einer Edel-Pizzeria für die Schickimicki-Gesellschaft Platz zu machen, die infamer Weise den altehrwürdigen Namen beibehalten hat, dürfte das Wiener eines der ältesten durchgehend betriebenen Cafés der Stadt sein – selbst das Café Luitpold ist nur sechs Jahre älter. Kunstdrucke an den Wänden, ein großer Spiegel mit Goldrahmen, ausladende Kronleuchter, gedämpftes Licht, in die Jahre gekommene Kaffeehausmöbel, das Wiener ist mit Sicherheit kein Coffeeshop. Altmodisch? Ja! Aber altbacken?
Im kleinen Vorraum neben dem Verkaufstresen, hinter dessen Glasscheibe leckere Torten, Kuchen und andere Gebäckstücke darauf warten, bestellt, serviert und verputzt zu werden, sitzen zwei ältere Damen mit Hut und schwatzen mit der Serviererin. Im Gastraum sitzt so früh am Morgen außer mir nur ein älterer Herr, der ganz in seine Zeitung vertieft ist. Senioren werden hier mit größter Zuvorkommenheit bedient, bekanntermaßen. Bei jüngerer Kundschaft, so die wenigen negativen Kritiken im Netz, stößt diese Praxis auf Unverständnis. Was stellen die sich vor? Statt „Ehrfurcht vor dem Alter“ etwa „frei Bahn der Jugend“?
„Hochnäsig, arrogant und herablassend“? Ich glaube hier liegt ein grundlegendes Missverständnis vor. Ein Missverständnis über die Rolle des Kaffeehauses im Allgemeinen und ein Missverständnis über Anstand, Höflichkeit und Achtung vor dem Alter im Speziellen. Natürlich werden Seniorinnen und Senioren hier bevorzugt behandelt. Denn das steht ihnen auch zu. Wer sich darüber Mokiert und eine schnöde „Gleichbehandlung“ einfordert, der hat Anstand, Höflichkeit und Achtung vor dem Alter längst weit hinter sich gelassen! Und wer sich wie ein junger Schnösel benimmt, der wird auch folgerichtig so behandelt.
Die Kuchen und Konditorwaren sin ausnehmend lecker, die Preise – für München – angemessen. Der Kaffee stammt von Burkhof – Bayerische Kaffeekultur seit 1928! Geröstet wird übrigens immer noch im münchennahen Sauerlach, auch wenn die Marke heute zum J.J.Darboven-Konzern gehört. Bestimmt keine Barista-Marke, aber gediegener Kaffee aus Bayern. So wie die Gäste ihn gewohnt sind und wie sie ihn erwarten.
Wer ein Zimt-Latte Mediumsize to stay sucht, der ist hier sicher falsch. Wer sich benehmen kann und damit leben kann, dass Senioren bevorzugt werden, ist hier sicher ein gern gesehener Gast. Und überhaupt: werden wir nicht alle älter? In 15 in 20 Jahren werde ich vielleicht froh über diese Praxis sein, denn dann werde ich bevorzugt… Übrigens: bestimmt ein schöner Ort für einen Kaffee „zwischen den Jahren“!
Konditorei Café Wiener, Reichenbachstraße 8, München-Altstadt, Öffnungszeiten: Montag – Freitag 08:30 – 18:00 Uhr, Samstag 08:30 – 17:00 Uhr, Sonntag 13:00 – 18:00 Uhr.
Scheint sich um ein Kaffeehaus mit Stil zu handeln. Ich würd hingehen.
LikeGefällt 1 Person