Sendling ist heute ein moderner Stadtteil mit guter Verkehrsanbindung. Etwa 36.500 Menschen leben hier, etwa 15.000 Menschen haben hier ihre Arbeit. Siemens, die Großmarkthalle und bis 2011 der Zigaretten-Konzern Philipp Morris sorgen für Arbeitsplätze und Gewerbesteuerneinnahmen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Sendling zum Arbeiterviertel und Industriestandort, eine Prozess, der sich mit der Anbindung an die Eisenbahn noch beschleunigte. Unterbrochen wurde dies nur durch den großen Brand von 1869. Siemens, Kraus-Maffei und verschiedene Motoren- und Tabakfabriken sorgten für einen wirtschaftlichen Aufschwung, der Großmarkt spielt bis heute eine große Bedeutung. Neben dem Großmarkt von Rungis bei Paris und dem Unidad Agroalimentaria de Barcelona gehört der Großmarkt von München zu den größten europäischen kommunalen Märkten für Lebensmittel und Blumen.
Im traditionell „roten“ Arbeiterviertel Sendling sympathisierten relativ wenige mit dem erstarkenden Nationalsozialismus. Die Schäden durch die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg fielen zwar weniger einschneidend aus, als in der Münchner Innenstadt, trotzdem brauchte das Viertel seine Zeit, um sich wieder zu erholen. In der Nachkriegszeit lebten zeitweise an die 1000 durch Krieg und Vertreibung heimatlos Gewordene in Sendlinger Barackenlagern, die es unter anderem an der Brudermühl-, Marbach- und Bavariastraße gab, darunter nahezu die gesamte Einwohnerschaft eines deutsch besiedelten Dorfes aus der Batschka.
Mit den Wirtschaftswunderjahren kamen die Italiener nach Deutschland. Und mit den Italienern die Pizzerien und Eiscafés. Letztere heißen Rialto, Lido oder Napoli und schon die Namen sollen Urlaubsgefühle in der Kundschaft wecken. Im Gegensatz zur Pizza ist Eis naturgemäß eher ein Saisongeschäft. Mancherorts teilt man sich die Geschäftsräume deshalb mit anderen Saisongeschäften, wie Lebkuchen oder Faschingsartikeln. Doch es gibt auch – vor allem unter den alteingesessenen – Cafés, die den Winter über geschlossen haben, also ihren Jahresumsatz dann erwirtschaften müssen, wenn es heiß und damit gutes Wetter fürs Eisgeschäft ist.
Zu den Dinosauriern unter den Münchner Eiscafés gehört das Riviera am Harras. Bereits 1960 gegründet hat es sich mit hausgemachtem Eis seinen Stammplatz in München verdient. Ein Grund dafür mag die Freifläche vor dem Café sein, die durch den Harras-Umbau zusätzlich an Aufenthaltsqualität gewonnen hat. Im Inneren versprüht das Riviera den Charme der Wirtschaftswunderzeit, ohne dabei abgenutzt zu wirken.
Doch das Sendlinger Riviera kann mehr, als nur Eis. Der Kaffee ist vorzüglich und das Angebot über die Eiskarte hinaus ist angemessen. Mein derzeitiger Liebling im Café ist der Affogato, also ein Kompromiss aus Eis und Kaffee. Auf der Terrasse konnte ich noch die letzten Sonnenstrahlen erhaschen – es wird schon recht schnell kalt – aber auch im Inneren lässt es sich ganz gut aushalten. Damit endet unsere Kaffee-Tour durch mein Viertel. Doch die nächste Tour steht schon an, nämlich dann, wenn der Winter hier ist und wir alle rein müssen…
Eiscafé Riviera, Am Harras 11, 81373 München, Öffnungszeiten: 10:00 – 22:00 Uhr.