Nirgends wird die Morbidezza der alten Kaiserstadt Wien deutlicher, als im Hawelka. Das Café in 1. Wiener Gemeindebezirk vereint die Kaffeehaustradition der alten k. u. k. monarchischen Vergangenheit mit dem, was in den 1950er Jahren Avantgarde und Moderne war. Ursprünglich bereits 1939 vom ehemaligen Betreiber des Kaffees Alt Wien Leopold Hawelka gegründet, kam seine Zeit erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Der schlichte Grund: Hawelka wurde zur Wehrmacht einberufen und konnte so sein Café nicht betreiben.
Leopold Hawelka kann man getrost als Wiens gastronomisches Urgestein bezeichnen. Anders, als die großen Wiener Kaffeehäuser, wie zum Beispiel das Sacher, stammt Hawelka aber nicht aus einer reichen Familiendynastie. Seine Vorfahren stammen aus Böhmen und Mähren, sein Vater war Schuster. Der Sohn aber zog die Kellner- der Schusterlehre vor und eignete sich zudem die Kenntnisse eines Weinkellners an. Im Wiener Restaurant Dreierl lernte er auch seine Frau, die Fleischhauerstochter Josefine Danzberger, kennen, „eine tüchtige Frau, mit der ich weiterkomme“.
1936 wurde geheiratet und das junge Paar stürzte sich gleich in die Pacht des Cafés Alt Wien in der Bäckerstraße. Obwohl anfangs niemand recht an ihren Erfolg glauben mochte, man ihnen sogar das nahe Scheitern prophezeite, betrieben sie das Kaffeehaus so erfolgreich, dass sie sich, als sie das Lokal komplett übernehmen wollten, den inzwischen stark gestiegenen Kaufpreis nicht leisten konnten.
So übernahm das vom eigenen Erfolg angespornte Paar das Kaffeehaus Karl L, auch bekannt als Café Ludwig oder Café Ludwig Carl, in der Dorotheergasse 6-8, ein Jugendstilbau, der seit der Jahrhundertwende die Chatham-Bar beherbergte, bei den Wienern wegen des „Chambre separee“ besser als Je-t’aime-Bar bekannt. Tatsächlich liegenden die Umstände der Übernahme etwas im Dunkeln. Bekannt ist, dass der jüdische Vorbesitzer nach dem Anschluss Österreichs spurlos verschwand und deshalb sein Café zum Verkauf stand.
Behielt man anfangs noch den Namen des Vorgängers bei, so firmierte man nach Kriegsende bereits als Café Hawelka. Obwohl alles um das Café herum nach den Bombenangriffen der Allierten in Schutt und Asche lag, blieb dieses Café nahezu unbeschädigt und konnte sofort in Betrieb genommen werden. Der große Aufschwung allerdings kam erst mit dem Ende der Besatzung und als durch die Kaffeemaschinen des Hawelka wieder echter Bohnenkaffe floss und kein Ersatzgetränk aus Getreide, Zichorie oder Feigen.
Schon jetzt fanden sich zahlreiche Künstler im Hawelka ein, darunter Hilde Spiel, Friedrich Torberg und Heimito von Doderer, doch erst mit der Schließung des legendären Cafés Herrenhof am Anfang der 1960er Jahre komplettierte die Versammlung der Künstlergilde: Friedensreich Hundertwasser, Rudolf Hausner, Konrad Bayer, Helmut Qualtinger, Gerhard Rühm und Oskar Werner, um nur einige zu nennen. Doch auch andere Kunstschaffende gaben sich im Hawelka die Ehre: Elias Canetti, André Heller, Arthur Miller, Klaus Maria Brandauer, Udo Jürgens, Arik Brauer, Senta Berger, Andy Warhol, die Fürstin von Monaco Gracia Patricia, Sir Peter Unstinov und Wiens berühmtester Grantler Hans Moser.
Bis ins hohe Alter – Leopold Hawelka wurde schließlich 100 Jahre alt! – ließ er es sich nehmen, täglich in sein Café zu gehen. Auch, wenn der Betrieb bereits von Kindern und Enkelkindern geführt wurde, so blieb Hawelka der Generaldirektor. Mehr noch, er war stets die Seele des Hawelka. So empfing er, so lange er das konnte, seine Gäste persönlich und wies ihnen Plätze zu. Er kaufte auch dem einen oder anderen Künstler eines seiner Werke aus Gefälligkeit ab oder steckte jemandem heimlich einen 20-Schilling-Schein zu, damit der Beschenkte sich bei ihm einen Kaffee leisten konnte.
Seine Frau Josefine leitete bis zu ihrem Tod mit 91 Jahren die Finanzen und bot täglich an 21:00 Uhr ihre stadtbekannten Böhmischen Buchteln an, hierzulande besser als Rohrnudeln bekannt. Nach dem Tod seiner Frau wurde es ruhiger um den Alt-Cafetier. Mit dem österreichweiten Rauchverbot konnte er sich allerdings nie anfreunden. Wenn er im Hawelka zugegen war, dann mussten Aschenbecher auf den Tischen stehen.
Auch ohne den 2011 verstorbenen Generaldirektor ist das Hawelka einen Besuch wert. An Renovierung scheint hier keiner zu denken, beziehungsweise: der Zustand des Cafés drückt in jeder Ecke, in der Geschichte von den Wänden bröselt, aus, dass man hier an das Konzept der Erneuerung nicht zu glauben schein, ja, es sogar erfolgreich negiert. Ein Teil der Künstler wird heute von Touristen ersetzt. Angeblich kommen immer noch Künstler. Das muss man schließlich behaupten, denn sonst kommen die Touristen nicht mehr. Trotzdem ist das Hawelka bis heute ein Ort, an dem sich trefflich über die Vergänglichkeit allen Irdischen im allgemeinen und der k. u. k. Kaffeehauskultur im speziellen trefflich sinnieren lässt – so lange einem die Vergänglichkeit nicht in den Kaffee rieselt, wie die abblätternde Farbe von den Wänden.
Und, was macht ein Nackerter im Hawelka? Georg Danzer ließ sich im Hawelka zu seinem Lied Jö schau! inspirieren. Es handelt von einem Nackflitzer, der im Café Hawelka auftaucht und beschreibt die Reaktion von Josefine Hawelka – „Er soll si schleich’n, aber schnell!“ – und die der Gäste – „Geh fesch! Endlich ana ohne Wäsch‘!“. Allerdings gibt es für den Nackerten oder auch Nockabazi im Wienerischen noch eine weitere Bedeutung, die des ungebildeten oder unwissenden Menschen schlichten Gemüts. Diese Bezeichnung mussten sich auch einige der Prominenten gefallen lassen. Gemeint sind Selbstdarsteller und Möchtegern-Promis. Auf diese Doppelbedeutung zielt auch das Lied ab: Nachdem sich aber der Nackte als prominenter „elegantester Flitzer von Wien“ vorgestellt, darf er im Lokal bleiben.
Mehr über Wiener Kaffeehäuser: das Sacher, das Goldegg und ein Traktat von Peter Altenberg.
Quellen: Webseite des Cafés, Wikipedia, Der Standard, Kleine Zeitung.